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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verbieten, es ist schon zu spät.‹ – Trinken wir Champagner auf ihr Wohl!«
    Sie tranken ihn in einem der feinen Lokale, in die man nur hineinkommt, wenn man den Portier kennt.
    Und dort trafen sie auch zufällig den großen alten Meister des Balletts Marius Petipa, der nicht wußte, daß Matilda aus Amerika zurückgekommen war.
    »Ein Wunder!« rief er überschwenglich. »Das ist ein Wunder! Gestern nacht träumte ich von dir! Du hast bei mir die Giselle getanzt! Und nun bist du leibhaftig da! Du wirst meine nächste Giselle sein!«
    Er küßte sie, übersah ihre Trauerkleidung und plauderte ohne Unterbrechung weiter – vom Theater.
    Da sind Tote ohnehin nur auf der Bühne wichtig …

XVII
    Wie rasch die Jahre vergehen, konnte man an den Triumphzügen der großen Felixowna ablesen.
    Sie reiste durch die Welt, immer in Begleitung von Boris Davidowitsch und Chamitja Maximowitsch, einer Zofe, einem eigenen Friseur und einer Sekretärin. Chamitja hatte ihr diesen aufwendigen Hofstaat eingeredet.
    »Wenn du allein kommst, denkt jeder: ›Ach herrje, das arme Mäuschen! Gib ihm ein paar Käserinden und es wird Männchen machen …‹ Kommst du aber dahergerauscht wie eine Königin, und ein Sklave kündigt dich an: ›Matilda Felixowna erscheint in zwei Minuten!‹, dann knicken sie in der Mitte ein, und es juckt sie überall vor Aufregung!«
    Widerwillig hatte Matilda zugestimmt, aber Chamitja kannte seine Branche sehr genau: Wo sie erschienen, wurden sie empfangen wie ein Staatsbesuch. Die ›Königin des Tanzes‹ gibt sich die Ehre …
    Am 1. August 1914 überraschte sie der Krieg in London.
    Der russische Botschafter überreichte Boris Davidowitsch einen Brief des Kriegsministeriums, worin stand, daß er sofort nach St. Petersburg kommen müsse, um ein Regiment zu übernehmen. Rußland brauchte jetzt jeden Offizier.
    Der Brief war zwei Wochen alt, aber inzwischen war er brennend aktuell geworden: In Extrablättern verkündeten die Zeitungen, daß Deutschland durch seinen Botschafter Pourtales dem russischen Außenminister die Kriegserklärung überreicht hatte. Was seit Wochen und Monaten wie eine elektrisch geladene Wolke über Europa geschwelt hatte, war zerplatzt: Die Welt geriet in Brand.
    Die Völker schlugen aufeinander ein.
    Das große Sterben begann.
    Und es begann mit Jubel, Marschmusik, Bittgottesdiensten und Blumengirlanden.
    »Sie sind alle verrückt geworden!« sagte Chamitja und raufte sich die Haare. »Krieg! Und sie singen dabei vor Freude! Gibt es denn nur noch Idioten? Von den Deutschen kann man das verstehen, die sind am muntersten, wenn es ums Sterben geht … aber wir Russen! Was ist bloß los mit den Menschen! Ist es uns wirklich so gut gegangen, daß man uns dafür bestrafen muß? Hunderttausende werden fallen … wofür? Für diesen Erzherzog, den man in Sarajewo ermordet hat? Ein Mann ist der Tod von Millionen wert? Das ist doch heller Wahnsinn!«
    »Was willst du tun, Borja?« fragte Matilda und las noch einmal den Brief aus St. Petersburg. Der Befehl war klar: Zurückkommen! Übernahme des Kommandos eines Regimentes …
    »Ich weiß es nicht … Hier, im Ausland, kann mich keiner zwingen. Aber ich bin Offizier! Ich habe meine Ehre zu verlieren …«
    »Oder das Leben!« Chamitja Maximowitsch rannte im Zimmer hin und her. »Wir machen uns aus dem Staub! Wir gehen dorthin, wo kein Krieg hinkommt! Auf eine Insel in der Karibischen See! Dort warten wir ab, bis sich alle die Köpfe eingeschlagen haben! Ich werde mich erkundigen, wie wir am schnellsten aus Europa wegkommen!«
    Es gab ein Schiff, und das nahmen sie, so sehr Chamitja auch die Heiligen beschwor, zu bezeugen, daß er kein Idiot sei.
    Das Schiff fuhr in die entgegengesetzte Richtung, als es Aronow wollte: Von London nach Oslo. Von Oslo sollte es mit der Bahn nach Stockholm gehen, von dort nach Helsinki. Von Finnland mit der Eisenbahn nach St. Petersburg …
    Es war ein warmer Abend, als sie an der Newa ankamen. Marschierenden Regimentern, langen Wagenkolonnen, endlosen Eisenbahnzügen voller Soldaten und Kanonen waren sie begegnet. Das ganze Rußland war im Aufbruch, rückte an die Front im Westen, machte sich bereit, Deutschland und Österreich niederzuwalzen.
    Was hatte Zar Nikolaus II. gerufen? »Wir werden kämpfen mit dem Schwert in der Hand und dem Kreuz im Herzen!«
    Und als der Zar nach der Proklamation auf den Balkon des Winterpalais trat, sanken Zehntausende von Menschen, die auf dem Platz gewartet hatten, in die Knie
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