Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Heizen, die Versorgung mit Lebensmitteln brach zusammen, weil die Transportzüge in riesigen Schneeverwehungen steckenblieben. Die Hälfte aller Bäckereien, Fleischereien und Molkereien war geschlossen worden, die Preise für Lebensmittel stiegen ins Unbezahlbare, der Schwarzhandel blühte, hungernde Menschen plünderten nachts die Geschäfte, um ein Stück Brot wurde gemordet, und endlich sickerten Zahlen durch, die einen das Grauen über den Rücken trieb: Rußland hatte an Toten, Vermißten, Verwundeten und Gefangenen bisher 3,8 Millionen Soldaten verloren!
    Die Munition ging aus, die Produktion konnte nicht genug liefern, der Nachschub stockte völlig – das einzige, was man genug hatte, waren immer noch … Menschen!
    Die deutsche Blockade in der Ostsee und am Schwarzen Meer schnitt Rußland fast völlig von alliierten Lieferungen ab … Das riesige Land war eine Insel geworden, auf der Millionen dem sicheren Hungertod entgegensahen.
    Nach dem Marsch der Frauen explodierte die Enttäuschung und die Verzweiflung der Massen. 80.000 Arbeiter aus den Fabriken streikten und strömten in die Stadt, um sich der Demonstration anzuschließen. Überall wehten die roten Fahnen in der eisigen Luft, überall zogen Marschsäulen von Menschen durch die Stadt.
    Die Regierung konnte nur mit Gewalt antworten. 3.500 Polizisten setzte sie ein, aber ihre Hauptmacht waren die 150.000 Mann der Garnison, die Reservebataillone der Garderegimenter, die Garde selbst, die Kosakenabteilung und die Marine.
    Welch ein Irrtum!
    Am 25. Februar – es arbeitete keiner mehr in Petersburg – zogen hunderttausend Demonstranten durch die Straßen, mit roten Fahnen und roten Armbinden, und ihre Sprechchöre hallten durch das ›Venedig des Ostens‹: »Nieder mit dem Krieg! Gebt uns Brot!«
    Und ein ganz neuer Satz: »Nieder mit der deutschen Zarin!«
    Der Oberbefehlshaber der Stadt, General Chabalow, setzte die Kosaken ein. Aber statt die Demonstranten niederzureiten und zusammenzuknüppeln, umarmten sie die Männer und Frauen, griffen nach den roten Fahnen und zogen mit durch die Straßen.
    Auf dem Newskij-Prospekt, der Prachtstraße von St. Petersburg, schoß die Polizei erstmalig daraufhin in die Menge.
    In der Hauptstadt des russischen Reiches begann das große Sterben. Das Herz Rußlands blutete aus vielen Wunden.
    Am 27. Februar meuterten die Garnisonen, die Truppen, die den Zaren und die Monarchie stützen sollten. Zuerst waren es die Garderegimenter … vor der Front seines wolhynischen Regimentes jagte sich der Kommandeur eine Kugel in den Kopf und gab damit den Weg frei. Die Soldaten mischten sich unter das Volk.
    Die litauischen Garden und nacheinander alle anderen Regimenter verließen ihre Kasernen und zogen mit im Strom der Demonstranten: »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit dem Zaren! Gebt uns Brot!«
    Die Gefängnisse wurden geöffnet, das Gerichtsgebäude flammte auf und brannte aus, die Polizeikommissariate wurden überfallen und zerstört, Soldaten mit roten Fahnen und Militärlastwagen stürmten den Sitz der Ochrana, der Geheimpolizei, den Justizpalast, die Palais einiger Minister, schlugen tot, plünderten, legten Brände, sprengten in die Luft …
    Was als Revolution zur Befreiung gedacht war, endete im Chaos. Chamitjas Worte wurden schreckliche Wahrheit: Das Waschwasser der Revolution ist Blut! Der Präsident der Duma, des Reichstags, der hilflose Rodzianko, telegraphierte dem Zaren:
    »In den Straßen wird wild durcheinandergeschossen. Es ist notwendig, sofort eine Person, die das Vertrauen des Landes besitzt, mit der Bildung einer neuen Regierung zu betrauen. Unmöglich, noch weiter zu warten! Jede Verzögerung ist tödlich! Ich flehe zu Gott, daß in einem solchen Augenblick die Verantwortung nicht den Monarchen trifft!«
    Der Zar, erst am 24. Februar von Zarskoje Selo in sein Hauptquartier abgereist, glaubte nicht an den Aufstand seiner Soldaten. Er las die Depesche von Rodzianko und legte sie wie angeekelt weg.
    »Wieder Dummheiten von diesem dicken Rodzianko!« sagte er, aber an General Chabalow schickte er den Befehl, den Ausschreitungen ein sofortiges Ende zu bereiten. Ganz gleich, wie …
    Es war zu spät!
    In St. Petersburg marschierten Volk und Armee Arm in Arm unter den roten Fahnen durch die Stadt. Die Anarchie war ausgebrochen. Es gab keine Ordnung mehr, keine Befehlsgewalt, keine bremsende Vernunft.
    Es gab nur noch den Aufstand der Straße … den Ausbruch eines Vulkans aus Hunger, Not, Lebensangst und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher