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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zwerg Mustin suchen. Man hatte ihn zum letztenmal am 26. Oktober gesehen: Ein Kommando von Bolschewiken holte ihn ›zum Verhör‹ ab. Mustin tauchte nie wieder auf, aber das Stroitskypalais wurde geplündert und verwüstet.
    »Ich werde nie mehr nach Rußland gehen«, sagte Matilda Felixowna, als sie von Stockholm nach Paris fuhr, in einem Interview, das von vielen Zeitungen gebracht wurde. »Wenn die Revolution nur Mord ist, wenn das neue Rußland nur aus Angst und Schrecken bestehen soll, dann soll die übrige Welt aufpassen, daß es ihr nicht genauso ergeht. Die Pest ist eine ansteckende Krankheit …«
    Ihr Haß war unbändig. Es gab für Matilda kein Verzeihen. Man hatte ihren Niki erschossen … wie kann man das jemals vergessen?
    In Paris holte Chamitja sie vom Bahnhof ab. Er weinte und sagte in der Droschke, die sie ins Hotel RIZ brachte:
    »Ich habe es nie glauben wollen, Matilduschka! Aber jetzt, wo ich weiß, daß ich Rußland nie wiedersehen werde, jetzt zerreißt mich das Heimweh.«

Epilog
    Im Jahre 1971, am 2. Mai, starb in Cluny bei Paris eine uralte, kleine zusammengeschrumpfte Greisin, die bisher allein in einem alten Haus, umgeben von einem Gärtchen, gelebt hatte.
    Mit dieser Frau lebten drei Katzen und ein Hund, eine Mischrasse, der am Bett saß, die Zähne fletschte und keinen an die Tote heranließ. Die Polizei mußte kommen und ihn mit einer Schlinge einfangen.
    »Sie ist sechsundneunzig Jahre alt geworden!« sagte ein Nachbar. »Wir haben uns immer gewundert, wie sie überhaupt noch leben konnte. Sie ging nie aus, saß immer nur in ihrem Gärtchen und lebte beinahe nur von dem, was sie sich selbst zog. Sie kaufte dieses Haus gleich nach dem Krieg 1945 … Sie hat mit keinem von uns gesprochen. Die ganzen Jahre nicht … Muß einmal hübsch gewesen sein. Stimmt es – sie soll eine Russin sein?«
    Ein Rechtsanwalt, dessen Adresse man bei den Papieren der Toten fand, wies sich dann als ihr Testamentsvollstrecker aus.
    »Sie war einmal eine große Tänzerin, Matilda Felixowna hieß sie –«, sagte er vor der Polizei aus. »Heute kein Begriff mehr, aber damals … Viel hat sie nicht hinterlassen, mußte alles verkaufen, nachdem sie sich, ich glaube, es war 1928, bei einem Autounfall beide Beine brach und nicht mehr tanzen konnte. Nur dies Haus in Cluny gehört ihr noch … Es soll verkauft werden. Für den Erlös, bestimmt sie in ihrem Letzten Willen, soll ein gutes Grab für sie gebaut werden, die Katzen und der Hund sollen in das beste Pariser Tierheim, ja – und dann ist da noch eine etwas merkwürdige Verfügung: Man soll ein großes rotes Segel kaufen und ihren Sarg darin einwickeln. – Der Spleen einer alten Dame! Aber es steht im Testament, wir müssen es wohl oder übel tun!«
    An einem sonnigen Maitag wurde Matilda Felixowna Bondarew in Paris begraben. Hinter dem Sarg gingen nur zwei Männer her: der Pfarrer und der Anwalt. Aber der Sarg war eingewickelt in ein blutrotes Segeltuch – es hatte Mühe gekostet, in der kurzen Frist ein Segel rot einzufärben.
    Als der Sarg in die Erde glitt und die Maisonne das Rot des Segels aufleuchten ließ, sagte der Pfarrer:
    »Sie war eine Russin! Warum liebte sie die rote Fahne so? War sie etwa früher eine bekannte Revolutionärin?«
    »Ich weiß es nicht!« antwortete der Anwalt. »Sie war jedenfalls eine berühmte Tänzerin, das weiß ich bestimmt. Kann sein, daß sie auch eine Bolschewistin war. Eine Anhängerin des Zaren war sie bestimmt nicht, sonst ließe sie sich nicht in diesem roten Tuch begraben …«
    Erst viel später, als man den Haushalt in Cluny auflöste, fand man in einer kleinen, kunstvollen Lackkassette ein paar vergilbte Briefe und Telegramme.
    Darunter auch einen Brief mit den wenigen Worten:
    »Das Schicksal zwingt uns, anders zu handeln, als wir wollen. Aber was auch geschieht, Du sollst immer wissen, daß Du die Mitte meines Herzens bist. Niki.«
    Wer aber weiß heute noch, wer Niki war …
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