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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns
Autoren: Horst Biernath
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seine Augenglasl... sakradi, sakradi! Wo hast du denn die gefunden?“
    „Jessesmaria, Herr Pflanz“, stammelte sie abgewürgt und preßte die Hand aufs Herz, „es wird doch kein Unglück passiert sein! Die Buben haben die Brille unten auf der Straße gefunden, und haben damit ihr Gaudi gemacht...Und gestern abend, es mag gegen neun oder ein wenig früher gewesen sein, da hat’s mit einemmal, wie ich im Bügelzimmer die Wäsche im Schrank verräumt hab, hinten am Haus einen Schlag getan, daß die Dielen gezittert haben...“
    Der Pflanz starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an...
    „Und was willst damit sagen, Everl?“
    „Daß der Schnee vom Dach heruntergekommen ist und den Herrn Klapfenberg erschlagen und unter sich begraben hat!“
    „Heil’ger Florian...!“ stieß er hervor und verfärbte sich. Er ließ sie stehen und rannte ins Haus zurück. „Heda! Wastl, Anderl, Dori!“ brüllte er in die Wurstküche hinein, wo der Gesell mit den beiden Lehrbuben das Brät in die Lyoner Würste füllte. „Laßt die Arbeit stehen! Holt Schaufeln! Und mir nach!“ Er rannte voraus, stürzte, drei und vier Stufen auf einmal nehmend, die Hintertreppe hinab, hörte, daß seine Leute ihm nachpolterten und griff draußen nach einem hölzernen Schneeräumer, der neben der Haustür stand. Der Hang, den die Kinder zum Rodeln benutzt hatten, war von ihren Stiefeln und Schlittenkufen festgetreten. Der Pflanz warf das untaugliche Werkzeug zur Seite und nahm einem der Lehrbuben den stählernen Spaten ab.
    „Los, Leute, grabt den Schnee ab! Aber vorsichtig! Schicht um Schicht!“
    „Was gibt’s, Meister?“ fragte der Gesell Anderl Dachsenreiter, der einen Moment gedacht haben mochte, der Pflanz fange nun auch zu spinnen an wie sein Bub.
    „‘s kann sein, daß der Klapfenberg drunterliegt!“ rief der Pflanz und stieß den Spaten vorsichtig in den Preßschnee. Sie brauchten nicht allzulange zu arbeiten. Nach einer kleinen Viertelstunde stieß einer von den Lehrbuben einen erschreckten Ruf aus und starrte in das Loch, das er mit den Händen in den Hang hineingewühlt hatte.
    „Eine Menschenhand... Meister.-..!“ stammelte er.
    „Los, Vinzenz, renn zur Polizei!“ fuhr der Pflanz ihn an, „sag, daß wir den Klapfenberg gefunden haben! Und daß sie mit dem Wagen kommen sollen!“
    Der Lehrbub stob davon, als hätte ihm der Pflanz ein Beil nachgeworfen, wozu er — wenn die Wut ihn mal packte — durchaus fähig war.
    Der Tod schien Joseph Klapfenberg wie ein Blitz getroffen zu haben. Vielleicht, daß er das Rauschen seiner Flügel noch über sich gehört hatte, zurück- oder vorzuspringen versucht hatte und in dem Augenblick, in dem er emporgeschaut und die Gefahr erkannt hatte, von einem mächtigen Eiszapfen wie von einer Keule mit voller Wucht getroffen worden war. Das Nasenbein war zerschmettert, und vielleicht auch die Schädeldecke, über der sich ein schwacher Bluterguß gebildet hatte.
    Oben starrte Herr van Dorn durch die Scheiben und trat mit grauem Gesicht ins Zimmer zurück. Eine halbe Stunde später überbrachte ihm der Gerichtsbote Gasteiger ein kurzes Schreiben mit der Mitteilung, daß seiner Abreise von Aldenberg nichts mehr im Wege stände.
    Kaum, daß man den Toten gefunden, freigeschaufelt und nach der Untersuchung durch Amtsgerichtsrat Schnappinger heimgefahren hatte, erfuhr auch Lothar Lockner die schlimme Nachricht. Der alte Lobmüiler hielt sich gerade in seinem Büro auf, als Herr Nirschl die Nachricht telephonisch durchgab, und den Alten erschütterte dieser plötzliche Tod so sehr, daß er wortlos aus dem Zimmer stapfte und sich wieder ins Bett legte. Nicht, daß er für seinen Vetter Joseph Klapfenberg allzuviel übriggehabt hatte, dazu waren ihre Naturen zu verschieden. Aber es war wieder ein Mann seines Alters, den der Tod hinweggerafft hatte, und er spürte, daß es auf der Bühne um ihn herum kälter und leerer wurde. Vielleicht auch empfand er den Tod eines Mannes, an dessen Art er sich immer ein wenig gerieben und der ihn zum Widerspruch gereizt hatte, noch stärker als das Hinscheiden irgendeines Kumpans, mit dem ihn eine von jenen Männerfreundschaften verband, für die der Inhalt des Bierkrugs der einzige Kitt war.
    Lothar Lockner entschloß sich nach kurzem Zögern, Jos Großmutter an diesem Vormittag zum zweitenmal aufzusuchen. Sie empfing ihn in dem gleichen Raum. Sie saß auf einem gepolsterten Stuhl in der Nähe des Fensters, immer noch aufrecht und ungebrochen, vor sich ein
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