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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns
Autoren: Horst Biernath
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Nähtischchen mit gedrechselten Beinen, auf dessen intarsierter Nußbaumplatte eine angebrochene Flasche und ein kleines Spitzglas standen. Lothar Lockner wollte ihr sein Beileid aussprechen, aber sie schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand.
    „Ach, lassen Sie es, auch wenn Sie es gut meinen... fremder Tod geht nicht unter die Haut...“ — und sie befahl dem Mädchen, das Lothar Lockner hinaufgeleitet und angemeldet hatte, noch ein Glas auf den Tisch zu stellen.
    „Es ist mir auf den Magen gegangen...“, murmelte sie, „er war der letzte von meinen Buben... er hätte es nicht auf mein Alter gebracht... ein verbrauchtes Herz... aber der Tod hat ihn zu früh weggeholt... mich scheint er vergessen zu haben... ein Eiszapfen und eine Ladung Schnee... ein rasches Ende...“ Es klang wie ein Selbstgespräch. Sie korkte die Flasche auf und schenkte sich und Lothar Lockner einen Schluck Genever ein. „Früher hätte ich noch Tränen gehabt... alles ausgetrocknet... werden Sie nie so alt wie ich... so alt zu sein ist ein elender Zustand...“
    Sie hob das Glas zum Munde und kippte es tapfer herunter. Lothar Lockner tat ihr stumm Bescheid.
    „Aber Sie sind wohl nicht allein deshalb gekommen, um mir einen Kondolenzbesuch zu machen... Was führt Sie zu mir?“
    Er drehte das Glas zwischen den Fingern und verfolgte den kleinen Flüssigkeitsrest, wie er der Drehung des Glases nachlief.
    „Ja“, sagte er schließlich, „die Geschichte liegt so, daß ich ein schlechtes Gewissen habe. — Ich habe Herrn van Dorn für einen Halunken gehalten... Und er scheint doch nur ein armer Hund zu sein. — Und da ist nun das Versprechen, das Ihr Sohn ihm gestern abend sicherlich tatsächlich gegeben hat — wissen Sie?“ Er stellte das Glas auf dem Nähtischchen ab und rieb sich mit der flachen Hand am Kinn, eine kleine Verlegenheitsgeste, mit der er seine Rasur zu prüfen schien. „Ja, Frau Klapfenberg, ich finde, da besteht nun so etwas wie eine Verpflichtung gegen den Toten und auch gegen Herrn van Dorn, das zu tun, was Ihr Sohn zu tun im Sinn gehabt hat, als er Herrn van Dorn verließ...“
    „Sie meinen, Johanna anzurufen und sie zu fragen, ob sie diesen Menschen noch einmal sehen will?“
    „Ja, genau das meine ich.“
    „Na hören Sie mal!“ fuhr sie auf, — aber dann ließ sie die alten Hände in ihren Schoß sinken. „Soll man nun Johanna in ihrem Zustande erzählen, was geschehen ist?“
    „Nein, das ist nicht nötig“, antwortete er rasch; „ich würde an Ihrer Stelle so tun, als hätte sich Herr van Dorn an Sie persönlich um Vermittlung gewandt, und als wüßte die Familie von diesem seinem Schritt nichts.“
    Sie blickte eine ganze Weile lang stumm vor sich hin, dann verrieb sie mit der Fingerspitze einen Tropfen, der von ihrem Glase auf die Tischplatte gelaufen war, und hob schließlich den Kopf; „Sie bürden mir da etwas sehr, sehr Unangenehmes auf, junger Freund... Aber ich will es tun. Und ich werde auch diesen van Dorn, der mir nicht sympathischer geworden ist, von Johannas Antwort verständigen. — Auf Wiedersehn. Vergessen Sie nicht, bei mir vorbeizukommen, bevor Sie Aldenberg verlassen!“
    „Ich vergesse es ganz gewiß nicht!“
    „Ich glaube übrigens“, sagte sie, als er den Türgriff schon in der Hand hielt, „ich brauche Sie von dem Ergebnis dieses Gesprächs nicht zu unterrichten. Was Johanna mir antworten wird, könnte ich Ihnen schon jetzt sagen. Oder sind Sie anderer Meinung?“
    Er hob die Schultern, verbeugte sich noch einmal und verließ das Zimmer der alten Dame.

    *

    Die Klinik von Dr. Egon Haase, die sich schlicht ,Haus Sonnenschein’ nannte, vielleicht aus dem gleichen Grunde, aus dem die alten Griechen das unwirtliche Schwarze Meer ,Das Glückbringende’ genannt hatten, lag nicht im Dorf Aldenried selbst, sondern auf den leicht ansteigenden Uferhängen des Sees, ein paar hundert Schritt vom Ort entfernt.
    Es war kurz nach der Mittagsstunde, als er sich der Klinik näherte. Trotz der frühen Jahreszeit waren dort ein gutes Dutzend Liegestühle aufgestellt, und Lothar Lockner sah schon jetzt auf weite Entfernung, daß eine von den Sonnenanbeterinnen sich aus den bunten Wolldecken schälte, an das Geländer trat und ihm mit weiten Armbewegungen entgegenwinkte. Es gab ihm einen Stich ins Herz, der ihn für eine Sekunde lähmte. Er setzte den Koffer ab und winkte zurück. Vier Monate waren seit ihrer letzten Begegnung vergangen.
    Er erwartete, Jo vor der Tür oder in der
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