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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Friedrich Glauser
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habe er sogar an Typhus geglaubt, bei der zweiten Frau, aber er habe es dann doch nicht kontrollieren können, denn da sei die Frau schon gestorben gewesen. Ja, der Leuenberger sei arg verhasst, besonders bei den Frommen, und von diesen gehe die Sage aus, er stünde mit dem Teufel im Bunde; als ob es so etwas gebe, einen Teufel. Das Mädchen stiess wieder ihr pfeifendes Lachen aus, sie sei aufgeklärt, sagte sie; bevor sie in dies Kaff gekommen sei, habe sie eine gute Stelle gehabt in der Stadt, und jetzt müsse sie hier unter dem Mond leben, bei den »Ruechen«. Aber der Leuenberger, das sei so der Beste hier herum, immer manierlich,immer »Fräulein Rosa« sagte er, und einmal habe er sogar gefragt, ob sie nicht seine Frau sein wolle, wenn er wieder Witwer sei. Warum nicht? Sie glaube doch nicht alles, was die andern da erzählen, und Angst habe sie keine. Als Frau vom Leuenberger hätte sie dann keine Sorgen mehr, es ginge ihr gut, und der Leuenberger habe ihr versprochen, sie dürfe nach Bern fahren, wann sie wolle, er habe schon lange daran gedacht, sich ein Auto anzuschaffen. Und wenn sie dann so ihre ehemaligen Freundinnen besuchen könne und triumphieren über sie, da nehme sie es noch gern mit dem Teufel auf. Aber jetzt müsse sie in der Küche helfen, es wundere sie überhaupt, dass die Wirtin noch nicht gekommen sei, sie zu holen, sie müsse das Mittagessen kochen, ob der Herr auch hier essen wolle? Ja, sagte Studer, gegen halb eins werde er zum Essen kommen, er wolle jetzt zuerst ein wenig bei den Leuten anklopfen, wegen den Düngemitteln.
    Der Mantel war trocken, draussen bemühte sich eine schwindsüchtige Sonne, den milchigen Nebel zu trinken, es gelang ihr schlecht, es war zuviel da; sie gab es auf, von der Anstrengung war sie ein wenig rot geworden. Wachtmeister Studer schritt durch die wenigen Häuser, die rechts und links von der Dorfstrasse lagen, er trat hier ein, trat dort ein, zeigte eine biedere Miene und pries Thomasmehl an. Manchmal, wenn die Frau allein daheim war und der Mann fort, im Wald beim Holzen, wurde er in die Küche gebeten, es war nicht schwer, die Frau auf das gewünschte Thema zu bringen. Aber aus allen Gesprächen, die Studer an diesem Morgen führte, konnte er nur zwei ganz unwägbare Gefühle herausdestillieren: die Furcht, die alle Frauen vor dem Leuenberger hatten, und die Überzeugung, dass der Leuenberger drei Frauen umgebracht hatte. Der anonyme Brief war somit erklärt, aber einen Menschen auf Gerüchte hin zu verhaften, das ging nicht. Studer wurde unsicher. Weibergetratsch, dachte er und sah seinen schönen Sensationsprozess zerfliessen, wie den Nebel vor ihm, der gerade jetzt zwei glänzendrote, zierliche Bäumchen freigab. Sieglühten in der Sonne wie flüssiges Erz, und durch eine sonderbare Gedankenverbindung musste Studer an die Hölle denken, so, wie er sie sich als kleiner Bube vorgestellt hatte.
    Sie hatten ihm genug vom Teufel vorgeschwatzt, die Weiber, den ganzen Morgen lang. Schon als Bub sei der Leuenberger ein gar merkwürdiger gewesen und habe mehr gesehen als andere Leute. Eine uralte Grossmutter hatte sich erinnert, dass der Berthel, damals erst elfjährig, am Tag der zehntausend Ritter gegen Abend atemlos heimgekommen war, auf der Schwelle sei er zusammengebrochen, und in der Nacht habe er dann gefiebert. Im Fieber habe er immer von einem schwarzen Mann erzählt, der sei auf einem schwarzen Ross über den Galgenhubel geritten. Und der Ritter, der Mann auf dem Ross, der habe keinen Kopf gehabt, aber er habe dem Jungen immer mit der Hand gewinkt. Seit diesem Tage sei der Leuenberger verändert gewesen. Er habe immer viel gelesen, die dicken Bücher, die sein Vater gehabt habe, sein Vater sei auch ein Kluger gewesen, der habe das Vieh besprechen können, und der Grossvater Leuenberger auch. Sie seien vor Generationen hier eingewandert, die Leuenberger, niemand habe gewusst, woher sie gekommen seien.
    Kein Sektionsprotokoll, keine richtiggehende Anzeige. Studer nannte sich einen Idioten. Er hätte doch wenigstens, bevor er hier heraufkam, sich an den Arzt wenden können, der die Frauen behandelt hatte, und diesen fragen, ob ihm nichts aufgefallen sei. Es war dem Wachtmeister ungemütlich zumute, er fröstelte (ob er sich wohl diesen Morgen bei dem Sauwetter erkältet hatte?), fühlte sich hin und her gerissen: Sollte er einfach ins Wirtshaus zurückgehen, dort zu Mittag essen und dann sang- und klanglos wieder nach Bern zurückkehren? Aber es hielt ihn
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