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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Friedrich Glauser
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sechzig Jahre alt, die drei letzten Frauen sind innerhalb von drei Jahren gestorben. Es waren immer junge. Er sagt, das Wasser bei ihm auf dem Hof ist schlecht. Viele meinen etwas anderes. Wann wird das Gericht endlich einschreiten? Wenn das Wasser schlecht ist auf seinem Hof, warum ist er nie krank geworden, noch sein Vieh, Knecht und Gesinde? Jetzt gehet er wieder um, der Bauer, wie ein brüllender Löwe, und suchet, wen er verzehren könne. Aber Gottes Gericht ist über ihm, wenn ihn das Gericht der Menschen vergisst.«
    Die Schrift war verstellt, das Papier grob, längliche Rechtecke überspannten es wie ein feines Netz. Nach dem Schluss des Briefes musste ihn ein »Stündeler« geschrieben haben, ein Bibelkundiger. In drei Jahren drei Frauen, das war merkwürdig. Aber die Totenscheine mussten doch in Ordnung sein, Studer hatte mit dem Polizeidirektor im Telephonbuch nachgesehen und den Namen eines Arztes gefunden, der als gewissenhaft bekannt war. Dieser Arzt war früher am Spital gewesen, die Polizei hatte bei Unfällen viel mit ihm zu tun gehabt, der Mann war untadelig. Aber man weiss ja, wie es in einer Landpraxis zugeht, man hat nicht viel Zeit, wenn man weit herum Besuche machen muss... und irren ist ja bekanntlich menschlich.
    Studer stapfte weiter, ganz wenig hellte sich das Wetter auf, das heisst der Regen hörte auf zu fliessen, dafür senkte sich ein dicker, weisser Nebel über das Land. So dicht wardieser Nebel, dass Studer die Häuser zuerst gar nicht erblickte, aus denen der Weiler Waiblikon bestand. Ein Junge mit halblangen Hosen, die bis zur Mitte der nackten Waden reichten, die Füsse in Holzschuhen, stapfte an ihm vorbei. »Wo ist die Wirtschaft?« fragte Studer. Der Junge glotzte zuerst, dann deutete er mit einer schmutzigen Knabenhand geradeaus und wies nach links, hob dann fünf gespreizte Finger. »Bist du stumm?« Der Junge nickte – also das fünfte Haus links, dachte Studer und stapfte weiter. Das Gastzimmer, das an den kleinen Laden stiess, war klein, nieder und finster. Es musste doch bald Mittag sein. Studer zog den triefenden Mantel aus, zog die Weste straff über seinen Bauch, zog noch den Rock aus, dessen Ärmelenden durchweicht waren, und setzte sich. Dann zog er die Uhr aus der Tasche, eine flache, goldene Uhr, die er an seinem zwanzigjährigen Dienstjubiläum geschenkt erhalten hatte; sie zeigte zehn Uhr. Es war früh. Er hatte Zeit. Lange blieb die Stube leer, kein Mensch zeigte sich, es herrschte in ihr jener ein wenig ekelerregende Geruch (auf nüchternen Magen ist er noch schwerer zu ertragen) von abgestandenem Bier und kaltem Pfeifenrauch. Endlich erschien ein gähnendes Mädchen, das unwillig die Absätze seiner Finken auf dem Boden nachschleifte. Studer bestellte einen Dreier Roten und eine Portion Hammen. Das Fleisch war gut, er bestrich es dick mit Senf, auch der Wein war nicht schlecht. Die Stube war gut geheizt, die nasse Luft von draussen vermochte nicht durch die Doppelfenster zu dringen. Dem Kommissar wurde wohl, seine Augen bekamen einen trockenen und klaren Glanz, und er überlegte, wie er sich am besten an das Mädchen heranmachen könne. Diese Serviertochter musste einmal in der Stadt gedient haben, sie hatte verraufte Dauerwellen und trug ein kunstseidenes, schon ein wenig brüchiges Kleid. Studer hätte es als einen psychologischen Fehler empfunden, eine Dorfmaid zu einer »Consommation«, wie sie in Genf sagten, einzuladen, hier konnte man es riskieren. Das Mädchen bügelte in der Nähe des grossen steinernen Ofens, der vonder Küche her geheizt wurde, gestärkte Schürzen. Studer klopfte auf den Tisch. Er war der biedere alte Handlungsreisende, der sich gern eine kleine Zerstreuung gönnt, obwohl die Zerstreuung hier etwas Überwindung kostete. Als das Mädchen mürrisch näher kam, fragte er verlockend, ob sie nicht auch etwas nehmen wolle, es sei so kalt draussen. Das Mädchen schwärmte für Wermut, es holte die staubige Flasche vom Wandbord, sagte: »Excusez« und »wenn's erlaubt ist« und drängte seine Magerkeit ziemlich dicht an den Wachtmeister. Und das Gespräch entspann sich. Studer liess sich Zeit (man muss sich immer Zeit lassen); er reise in Düngemitteln, besonders Thomasschlacke sei jetzt sehr preiswert zu kaufen, ein ausgezeichnetes Phosphordüngemittel, aber er wolle zuerst ein wenig Bescheid wissen über die Leute in der Gegend, sein Auto habe er am Bahnhof gelassen, denn der Weg sei doch gar zu schlecht. Und er plätscherte und
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