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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Friedrich Glauser
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plätscherte, und das Mädchen langweilte sich und gähnte. Das war das Richtige, wenn sie gähnte, so ehrlich gähnte, dann glaubte sie ihm seine Geschichte. Und vorsichtig begann er, von den Bauern der Gegend zu reden und zu fragen, wer wohl den grössten Hof habe und welche die besten Abnehmer seien, aber er wolle nur von solchen wissen, die Geld hätten im Haus. Und man habe ihm besonders den Berthold Leuenberger gerühmt, der habe so einen grossen Hof, aber grosse Höfe seien meist verschuldet – ob man etwa bei diesem anklopfen könne? Und was das für ein schönes Kleid sei, das die Jungfer da anhabe, man sehe doch gleich, dass sie nicht von hier stamme, und gute Manieren habe sie, nur wie sie das Glas halte. Das kam alles in einem leise einschläfernden Redestrom, besonders die Komplimente, denn Studer hatte bemerkt, wie ein leises Erschrecken durch den mageren Körper neben ihm ging, als er den Namen Leuenberger nannte. Er säbelte an seinem Schinken herum. Ja, also, dieser Leuenberger, ob es sich wohl empfehle, ihn zuerst zu besuchen? Komme er öfters in die Wirtschaft? In die bleichen Augen des Mädchens neben ihm kam ein seltsamesFlimmern. Der Leuenberger habe den Leichenschmaus gestern bei ihnen gehabt.
    »Leichenschmaus?« fragte der Wachtmeister, wer denn da gestorben sei.
    »Seine Frau.«
    Dann sei es wohl nicht günstig, ihn heute zu besuchen. Das Mädchen stiess ein pfeifendes Lachen aus, leerte das Glas, fragte zutraulich, ob es ihr erlaubt sei, noch eins zu trinken; der Wachtmeister nickte, das kam sicher gut, wenn diese Trucke halb betrunken war.
    Und bohrte weiter. Also, der Leuenberger habe den Leichenschmaus hier gehabt, wie alt er denn sei, ob er wohl wieder heiraten wolle? Das Mädchen zierte sich. Oh, es werde sich schon eine finden, die nicht alles glaube, eine Couragierte. Es stellte sich heraus, dass der Leuenberger schon zu Lebzeiten seiner Frau oft in der Gaststube seine Abende verbracht hatte, und dass eine Frau noch glücklich bei ihm werden könne. Was ist das für ein Mensch, dachte der Wachtmeister, dieser Bauer, hat nicht genug an vier Frauen, die er unter den Boden gebracht hat, nein, er schafft auf Vorrat, während die letzte noch am Leben ist, sorgt er schon für die folgende. Fast wäre ihm die Frage herausgefahren, ob sie denn nicht Angst hätte, über den Frauen des Leuenberger walte doch kein guter Stern, aber er schluckte die Bemerkung noch rechtzeitig hinunter, untersuchte aufmerksam das Deckblatt seines Stumpens (er hasste es, diese Rauchware am falschen Ende anzuzünden) und schwieg. Denn jetzt war Schweigen am Platz. Der Redestrom rann von selbst, wie aus einem angestochenen Fass, der Wermut hatte seine Wirkung getan. Nur nicht unterbrechen. Er erinnerte sich dunkel, dass ihm ein alter Untersuchungsrichter zu Beginn seiner Laufbahn diesen Rat gegeben hatte: sich unbemerkbar zu machen, wenn der andere einmal loslegt. Aber den Rat brauchte er nicht mehr, er wusste, bei Zeugenverhören, bei fälligen Geständnissen war Schweigen ein so starkes Druckmittel, dass die mittelalterlichenFoltermethoden dagegen zu einem einfachen Kinderschreck zusammenschrumpften.
    Und er erfuhr genug, der Wachtmeister, er erfuhr genug, um sich ein ziemlich gelungenes Bild von diesem Leuenberger zu machen. Das Mädchen schilderte ihn ganz gut, als einen grossen, mageren Mann, mit noch dunkelbraunen Haaren trotz seinem Alter. Glattrasiert. Mit seiner ersten Frau hatte er vierzig Jahre zusammengelebt. Das Ehepaar hatte keine Kinder gehabt. Dann war die Frau an einer Lungenentzündung gestorben, vor zehn Jahren. Sie war fromm gewesen, den Bauer aber hatte man nie in der Kirche gesehen, auch nicht in der »Stunde«. Nach dem Tode der Frau war er allein geblieben und hatte den Hof bewirtschaftet mit einer Magd und drei Knechten. Übrigens habe er einen schlechten Ruf, als stehe er mit dem Teufel im Bunde. Das Mädchen lachte und liess Goldplomben sehen; sie glaubte nicht daran, aber Tatsache sei, der Leuenberger habe viel Zulauf, von weit herum kämen Leute, um ihn zu befragen, wenn Krankheit im Stall sei, auch bei Menschen, wenn der Doktor nicht mehr zu helfen wisse. Er stünde sonst gut mit dem Doktor, der Leuenberger, sagte das Mädchen; bei den Krankheiten seiner Frauen habe er immer den Arzt beigezogen, den Doktor Pfister, der sei jedesmal ein-, zweimal hier heraufgekommen, der Leuenberger habe ihn gerufen, aber der Arzt habe nichts Rechtes finden können. Darmkatarrh, bei allen dreien, einmal
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