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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Friedrich Glauser
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Bauer, dieser Leuenberger, der reizte ihn, dem musste er es zeigen. Und dabei hatte das Spiel doch kaum begonnen, und wo war der Einsatz? Diesmal war es nicht ein halber Liter Fendant, es ging um mehr. Ganz geistesabwesend zog Studer sein Taschentuch aus der Tasche und wischte sich die Stirn. Er schwitzte.
    Dieses Schweigen in dem kleinen Zimmer! Es war nicht zum Aushalten. Und dann wurde es auch noch dunkel draussen, der Nebel hatte sich wohl wieder eingefunden, nein, es regnete, ganz leise plätscherte es gegen die Scheiben. Ihm gegenüber der sanfte alte Mann mit dem Samtkäppli und den gestickten Blumen. Und da spielte der Bauer den ersten Trumpf aus:
    »Ihr habt Euch gar viel um mich interessiert, Herr«, sagte er, mit einer so stillen, unbeteiligten Stimme, und ganz ruhig blieb er dabei, einen Moment nur blitzten die Strahlen aus den versteinten Augen. »Was meint Ihr?« fragte Studer unbedacht und hätte das Wort so gerne wieder eingefangen, er hätte schweigen sollen, Schweigen war das Beste, was hatte der alte Untersuchungsrichter gesagt? Und er seufzte, denn er dachte: »Untersuchungsrichter haben gut reden, die sitzen in ihrem Büro, wir haben die Vorarbeiten getan, sie thronen hoch oben, sie haben Autorität. Ich möcht' einen Untersuchungsrichter an meiner Stelle sehen.« Aber der andere schien das Spiel auch zu kennen, denn auf die Frage des Wachtmeisters schwieg auch er und blickte nur still und ruhig auf seine gefalteten Hände. Dann sagte der Leuenberger mit seiner tönenden Stimme: »Ja, drei Frauen hab' ich verloren in den letzten Jahren, es mussein Fluch sein auf meinem Hof«, und schielte lauernd zu seinem Gast, wie das Wort »Fluch« wirken werde. Aber nun hatte der Wachtmeister etwas gelernt, das Taschentuch behielt er zwar in Händen, aber er verschränkte die Finger darüber und nickte scheinheilig.
    Das Mädchen brachte das Essen, es war Speck, Sauerkraut, Erdäpfel. Die Männer assen schweigend. In der Küche trampten die Knechte, der Wachtmeister hörte, wie sie absassen, hörte das Klappern der Löffel in den Tellern, spitzte die Ohren, ob er nicht ein Wort erhaschen könne, durch die angelehnte Tür. Die Knechte assen schweigend, Stühlerücken, sie klapperten hinaus, das Mädchen kam ins Zimmer, räumte den Tisch ab, stellte eine Flasche »Brönnts« auf den Tisch, zwei Gläser, verliess wieder das Zimmer. Das waren keine Schnapsgläser, das waren Weingläser. Der Leuenberger füllte die Gläser, trank das seine mit einem Ruck leer, der Wachtmeister folgte dem Beispiel, er hätte am liebsten einen langen Fluch hinausgeschmettert, aber mitten drin wäre ihm der Atem ausgegangen. Das war ja Salpetersäure! Der Leuenberger verzog keinen Muskel im starren Gesicht. »Ein gutes Schnäpslein«, sagte er, und es schien dem Wachtmeister, als grinse er auf den Stockzähnen. Und dann spielte er den zweiten Trumpf aus: »Was hat sich die Polizei in Bern um meine Angelegenheiten zu kümmern, dass sie einen Wachtmeister zu mir heraufschickt? Hab' ich etwas verbrochen?« War es der Schnaps, der zu wirken begann, war es der offenkundige Hohn, plötzlich war Studer ganz klar »im Grind«, wie er sagte. Die Ängstlichkeit war plötzlich fort, er fühlte plötzlich ganz deutlich, der da gegenüber ist reif, jetzt ihm nur Zeit lassen, jetzt mit ihm saufen den ganzen Nachmittag lang. Noch einmal verwirrten sich seine Gedanken, ganz kurz, er dachte an seine Gesundheit: Bei deinem Herzen, dachte er, kann es dich einen Schlag kosten. In Gottes Namen, dachte er weiter, die Kinder sind fast erwachsen, die Alte hat die Pension, war wieder klar, zog das Schnupftuch, tat verlegen, schneuzte sich, bevor er antwortete, und liess seine Antwort ganzkläglich klingen: »Oh, gegen Euch hat man apartig nichts, aber es sind natürlich immer böse Mäuler um den Weg, und wir haben da einen Brief empfangen, der ...« Er zögerte scheinbar, dann zog er den Brief aus der Tasche und legte ihn vor den Bauer hin.
    Jetzt zog der Bauer das Schnupftuch, hielt es einen Augenblick wie zögernd in der Hand, dann kam die Brille zum Vorschein, er putzte die Gläser, mitten in diesem Geschäft störte ihn der Wachtmeister: »Rauchet Ihr?« und hielt ihm eine längliche Tasche voll brandschwarzer Toscani hin. Leuenberger sagte: »Ich danke auch ...«, wählte eine, legte sie neben sich, putzte die Brille fertig, setzte sie umständlich auf; da hatte Studer schon ein Streichholz angebrannt, bot dem Bauern Feuer, das Zündholz verbrannte dem
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