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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Friedrich Glauser
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los! Du hast doch schon andere Leute gebodigt, wirst du Angst haben vor so einem Bauer? Du wirst alt, Studer, lass dich pensionieren.
    Der Leuenberger war gemütlich; er schien sich glänzend zu unterhalten bei diesem stummen Spiel. »Natürlich«, dachte Studer, »der ist nicht auf meinen vorgeschützten Beruf hereingefallen. Der hat mich gleich erkannt als der, der ich bin. Und so sicher ist er... eine unerschütterliche Sicherheit.« Der alte Leuenberger benahm sich untadlig, machte nicht zuviel Worte, nötigte den Gast auf die Bank am Fenster, setzte sich ihm gegenüber, schwieg. Schwieg lange.
    Studer nahm einen Anlauf. »Ihr seid also im Leid?« fragte er, so harmlos als möglich, und auf einen kurzen Augenblick hob er die Augen. Unerträglich, was dieser alte Bauer für einen Blick hatte. Es sah aus, als seien seine Augen aus einem matten Stein, nur dort, wo die Pupillen sassen, drangen zwei spitze Strahlen hervor, anders konnte man das wohl nicht nennen, die trieben einem das Wasser in die Augen. Und Studer klappte wieder mit den Lidern.
    »Ja«, sagte Leuenberger, »meine Frau ist gestern begraben worden. Sie ist zu Verwandten gefahren, hat wohl etwas Unrechtes gegessen, sterbend haben sie mir die Leute ins Haus gebracht. Der Doktor hat sie kurz vorher gesehen, kurz vor ihrem Tode. Ein Darmfieber. Ja.« Und Leuenberger schwieg wieder. Er hatte die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, langfingrige Hände, stellte Studer fest, mit gekrümmten Nägeln daran, gelblichen Nägeln, gewölbt.
    In der Küche lief jemand herum. »Rösi«, rief Leuenberger, ganz sanft, es klang wie das Mauzen eines Katers; ein junges Mädchen erschien. »Lauf in die Wirtschaft und sag dort, sie sollen nicht auf den Herrn warten, der Herr isst hier.« Schweigend ging das Mädchen. Auch sie hatte den Blick nicht gehoben.
    »Also«, sagte Leuenberger und blickte auf die alte Tischplatte,»Ihr wollt mir Kunstdünger verkaufen ... oder?« Wenn er die Augen gesenkt hielt, war sicher nichts Besonderes an diesem Bauer, er war ein alter Bauer, wie andere auch, mit einem runden, samtenen Käppchen auf dem Kopf, das mit bunten Seidenblumen bestickt war. »Welche von seinen Frauen hat ihm jetzt das Käppchen gestickt?« dachte der Wachtmeister, und zugleich sollte er antworten, und wieder war dies unangenehme Gefühl im Nacken da, am ehesten erinnerte es noch, dies Gefühl, an den Eindruck, den man in einer Schlägerei hat: Man hat sich nach vorn zu wehren, und plötzlich bekommt man die Warnung, so als ob man Augen hinten im Kopf hätte, hinter dir steht einer mit aufgezogenem Gummiknüppel ... und jetzt schlägt er. Furchtsam sah sich der Wachtmeister um. Hinter ihm war ein unschuldiges, niederes Fenster, niemand blickte durch die Scheiben, vor ihm sass ein alter Mann mit gefalteten Händen. Von nirgends her drohte Gefahr. Und doch war es unheimlich in diesem sauberen Bauernzimmer – und ganz schnell schickte der Wachtmeister einen Blick ringsum. Ein alter Schrank, in einer Ecke der breite Ofensitz, ein Bord an der Wand, alte Bücher darauf. Studers Blick blieb an den Büchern haften. Leuenberger sah auf, folgte der Richtung, nickte, sagte, als müsse er eine Frage beantworten: »Alte Bücher, ja, vom Urgrossätti, Bücher, die man nicht mehr findet, mit handschriftlichen Bemerkungen. Ich zeig' sie nur nicht gern.« Und wieder das Schweigen. Draussen, in der Küche, das scheue Klappern von Holzböden, das Mädchen musste zurück sein. Pfannen rasselten. Wasser lief. Ein Hahn krähte vor dem Fenster. »Und nicht einmal ein Sektionsprotokoll«, dachte der Wachtmeister, »wie kann man an diesen Menschen herankommen, das Spiel beginnen.« Es kam ihm ein dummer Vergleich in den Sinn, aber er wurde ihn nicht los: Wie beim Jassen, musste er denken, der Gegner hat die Hände voll Trümpfe, er trumpft, trumpft, er hofft, den Match zu machen, nur eine falsche Karte hat er, und beim vorletzten Stich hat man noch zwei Asse in der Hand, welches soll man verwerfen?Verwirft man das falsche, ist man der Lackierte. Auch hier: Der andere hatte alle Trümpfe, aber eine falsche Karte hatte er, das Gefühl hatte Studer deutlich, und er musste verwerfen, verwerfen. Wenn er nicht die richtige Karte behielt, dann war alles verspielt, sein ganzes Leben war nichts wert, hier war ein Kampf, auf seinem Boden eigentlich, er war doch auch ein Bauernsohn! Gott, die Internationalen! So klug waren sie nicht, und die grossen Kanonen kamen ja nie in die Schweiz. Aber dieser
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