Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt
Autoren: Cate Tiernan
Vom Netzwerk:
Erleichterung, mein altes Weißblond wiederzusehen. Wenigstens sah der Haarschnitt noch ganz niedlich aus - zumindest, wenn ich daran dachte, mir die Haare zu kämmen, solange sie noch nass waren.
    Die Blutergüsse und Kratzer an meinen Handgelenken heilten. Auch die purpurnen Abdrücke der Finger an meinem Hals verblassten. Nur meine Seele heilte nicht.
    Es dauerte nicht lange, bis ich auf die Idee kam, unter das Bett zu kriechen, das lose Stück Fußleiste wegzuziehen und die Finger in mein Versteck zu bohren. Als ich den Schal und das warme Metall darin spürte, schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich wickelte es aus, um ganz sicherzugehen: Es war die Hälfte vom Amulett meiner Mutter, der Tarak-Sin meiner Familie. River hatte ihn zurückgelegt, was mir wieder die Tränen in die Augen trieb: Sie vertraute ihn mir an. Sie glaubte nicht, dass ich dunkel war oder ihn zu dunklen Zweckenmissbrauchen würde. Und ... sie war sicher gewesen, dass ich zurückkommen und ihn holen würde.
    Jeden Tag spürte ich Reyn vor meiner Tür, aber er klopfte nie an, fragte nie, ob er hereinkommen durfte. Und ich war nicht annähernd mutig genug, zu ihm hinüberzugehen und ihn zu besuchen, wie es normale Menschen tun würden. Ich sehnte mich danach, mit ihm zu reden, stellte mir immer und immer wieder sein Gesicht vor. Aber ich war schon so lange ein Feigling, dass es mir schwerfiel, etwas daran zu ändern. Schließlich versuchten sie, mich aus meinem Zimmer zu locken, indem sie mir kein Essen mehr brachten. Ich hielt achtStunden lang durch. Aber dann fing irgendein Bastard an, Plätzchen zu backen, und der Duft zog nach oben und unter meiner Zimmertür durch. Wahrscheinlich hatten sie einen Ventilator aufgestellt, damit ich die volle Ladung abbekam.

    Als ich endlich nach unten schlich, hatte mich der Duft schon fast um den Verstand gebracht.
    In der Küche belegten Amy und Lorenz die Backbleche mit kleinen Teighäufchen. Genauer gesagt arbeitete Amy, während Lorenz auf einem Hocker saß und fantastisch aussah.
    »Ha!«, sagte Amy zu Lorenz, als ich auftauchte. »Ich habe doch gesagt, dass das klappt!« Sie grinste, nahm eins der noch warmen Plätzchen und warf es mir zu. Es war Annes Lieblingssorte, mit Tofu, Mandeln und Sesam, aber die Dinger schmeckten trotzdem echt gut, und da sie »gesund« waren, vertilgte ich ungefähr zwölf Stück davon.
    Lorenz kam auf mich zu und küsste mich typisch italienisch auf beide Wangen. »Schöner Haarschnitt«, sagte er anerkennend. »Sehr schick.«
    »Danke.« Und das war's. Diese Leute hier waren so unglaublich reif und großzügig und gutmütig, dass sie mich einfach wieder aufnahmen, als hätte ich nicht gerade eine grauenvolle, tödliche, selbst verschuldete Tragödie erlebt. Das war echt schwer zu ertragen.
    Aber ich konnte nicht bis in alle Ewigkeit Plätzchen essen. In einer perfekten Welt, bla bla bla ... Also verließ ich die Küche und traf auf dem Flur auf River, die vor dem Arbeitsplan stand.
    »Hi«, sagte sie fröhlich. »Ich trage dich gerade wieder ein. Morgen früh bist du mit dem Einsammeln der Eier an der Reihe.«
    »Oh, super«, murmelte ich und sie lachte. »Äh ... weißt du zufällig ... wo Reyn ist?« Die letzten drei Worte stieß ich besonders schnell hervor, weil sie dann unmöglich zwei und zwei zusammenzählen konnte.
    »Mal sehen«, sagte River, die sich nichts anmerken ließ. Sie sah auf dem Plan nach. »Er müsste jetzt im Stall sein.« Ja, natürlich im Stall, wo ich mich so überaus wohlfühlte, weil ich da nicht von hundert Erinnerungen an die vielen Pferde gequält wurde, die ich geliebt und verloren hatte. Oder die ich nicht gerettet hatte.
    Ich seufzte.
    »Geh schon«, sagte River.
    ***
    Reyn brachte gerade Titus in seine Box. Er hörte mich kommen und stand einen Moment lang nur da und sah mich an. Als Titus an seinem Platz war, murmelte Reyn ihm noch etwas zu und schloss die Boxentür. Titus grummelte ihn an. »Du kannst gut mit Pferden umgehen«, sagte ich. Es sollte beiläufig klingen, aber meine Stimme brach und ich hörte mich an wie ein kleines Mädchen - schöner Mist.
    Reyn kam näher und musterte mich eingehend, als wollte er sichergehen, dass mir nichts fehlte oder dass ich echt war oder etwas in der Art.
    »Wie geht's dir?«, fragte er.
    Beinahe hätte ich vor Nervosität losgekichert. Weil ich ja so cool bin. »Ich ... ehrlich gesagt, weiß ich es nicht«, sagte ich. »Ich ... bin froh,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher