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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt
Autoren: Cate Tiernan
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umzubringen, und meine Freunde umgebracht und mir lauter schlechte Dinge hergeschickt. Da wollte ich ihn töten. Ich habe mir vorgestellt, wie ich ihn töte, mir vorgestellt, wie er für immer tot sein würde.«
    River saß ruhig da und hörte auf diese spezielle Art zu, die einen dazu verleitet, ihr das ganze Herz auszuschütten. Ich schaute auf. »Ich habe entschieden, es nicht zu tun. Ich meine, ich hatte keine Angst davor, ihn zu töten. Ich wollte ihn in diesem Augenblick wirklich tot sehen. Aber ... ich hatte die Wahl. Und ich habe entschieden, ihn nicht zu töten.« Einen Moment lang staunte ich selbst über diese Erkenntnis. Ich sah River in die Augen und sie nickte. Dann hob sie die Hand. »Hervorragend. Highfive dafür, dass du ihn nicht getötethast.« Ihre Mundwinkel verzogen sich nach oben und mein Herz wurde plötzlich viel leichter. Ich hob die Handund schlug bei ihr ein - ein Highfive dafür, dass ich Incy nicht abgemurkst hatte.
    Ich war ganze vier Tage weg gewesen. Und ich hatte es geschafft, in dieser kurzen Zeit, einen ganzen Haufen Verwüstung zu hinterlassen. Aber ich hatte auch viele neue Einsichten gewonnen und vielleicht war ich sogar ... ein bisschen erwachsener geworden.
    River stand auf und nahm das Tablett. »Schlaf ein bisschen. Ich komme wieder, wenn du aufwachst.«
    Sie schaltete das Licht aus und verzog sich leise. Ich lag noch eine Minute lang da und versuchte, alles zu verarbeiten, was nicht mal ansatzweise klappte. Und dann schlief ich ein.

26
    Es dauerte fast eine Woche, bis ich den Mumm aufbrachte, nach unten zu gehen. In einer perfekten Welt wäre ich für immer in meinem Zimmer geblieben wie eine Einsiedlerin und hätte mir unter der Tür das Essen reinschieben lassen. Aber diese Welt ist nicht perfekt. Wem sage ich das.
    Tagelang hörte ich zu, wie die anderen leise plaudernd an meiner Tür vorbeigingen. Brynne kam mich besuchen und war sehr mitfühlend. Ich hatte gehofft, dass sie mir etwas wirklich Grausiges erzählen würde, das sie getan hatte - abgesehen davon, dass sie versucht hatte, jemanden in Brand zu stecken, was ich schon wusste -, aber sie bedauerte nur, was ich durchgemacht hatte, und riet mir, um Gottes willen diese Haare zu entfärben.
    Ich erkannte, dass sie meine Freundin war. Das hatte ich bisher nicht gewusst. Aber sie sagte mir die Wahrheit. Ich bedeutete ihr etwas. Wenn ich an meine alten Freunde zurückdachte, konnte ich mich an keine Situation erinnern, in der sie sich wirklich etwas aus mir, meinen Gefühlen, meinen Entscheidungen oder aus dem, was ich tat, gemacht hatten. Sie hatte nur interessiert, welchen Einfluss es auf sie hatte. Das war der Unterschied. Einer der Unterschiede.
    An einem Nachmittag kamen River und Asher. »Wir haben herausgefunden, was Incy benutzt hat«, verkündete Asher. »Du kennst doch den großen Spiegel im Esszimmer? Mit dem Goldrahmen? Er war verwünscht. Wir wissen nicht, wie er das gemacht hat. Normalerweise muss man die Dinge berühren, um das zu tun, was er gemacht hat. Jedenfalls hat er den Spiegel dazu benutzt, dir dunkle Beschwörungen zu schicken. Wir glauben, dass diese Beschwörungen der Grund sind, wieso du es hier in den letzten Wochen so schwer hattest.« »Die ersten paar Wochen waren aber deine eigene Schuld«, bemerkte River ernst und nach einer kurzen Schocksekunde musste ich grinsen.
    »Der Spiegel ist rituell zerstört worden«, fuhr Asher fort. »Der Raum und das ganze Haus sind gereinigt. Von jetzt an sollte alles besser werden.«
    Ich nickte und hoffte nur, dass er recht hatte.
    Einmal standen morgens zwei Koffer in meinem Zimmer, in denen ein Teil der Klamotten war, die ich in Boston gekauft  hatte. River erzählte mir später, dass sie sie im Kofferraum von Incys Wagen gefunden hatten. Er hatte sie an jenem Abend mitgenommen, damit es so aussah, als wäre ich abgereist, wenn ich so plötzlich »verschwand«. Ich sortierte alles durch und entsorgte die Sachen, die ich mit Incy und den anderen getragen hatte. Den Rest stopfte ich in meinen Schrank zu den Flanellhemden und Wollpullovern. Ich war nicht mehr das totale Punk/Goth-Partygirl, das ich bei meiner Ankunft gewesen war, aber ich war auch nicht mehr nur Hilda, die Ziegenhirtin. Vielleicht steckte ein bisschen von beidem in mir.
    River brachte meine Haare mit demselben Zauber wieder in Ordnung wie beim letzten Mal. Ich hatte mich noch nicht an das knallige Magentarot gewöhnt, kein bisschen, und es war eine
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