Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Error

Error

Titel: Error
Autoren: N Stephenson
Vom Netzwerk:
errötete. Offenbar irgendeine atavistische Reaktion darauf, so beobachtet zu werden. Doch dann blinzelten die Augen, der kleine Kopf des Pumas drehte sich zur Seite und die Ohren zuckten als Reaktion auf etwas nicht Sichtbares. Dann schnellte er herum, und das Letzte, was Richard von ihm sah, war sein pelziger Schwanz, der wie ein Peitschenriemen schnickte, und die weißen Ballen seiner Füße, als er davonrannte.

DIE FORTHRAST-FARM
Nordwest-Iowa
    Thanksgiving
    Richard hielt sich in letzter Zeit viel öfter auf der Farm auf, hauptsächlich weil man ihn zum Vollstrecker von Johns Testament ernannt hatte. Da Alice noch lebte, war das sehr viel unkomplizierter, als es hätte sein können – er musste das Eigentum seines älteren Bruders nicht komplett durchgehen, sondern nur die Teile, die Alice nicht gebrauchen konnte oder die sie nicht interessierten. Das hieß Werkzeug, Waffen, Jagd- und Campingausrüstung und einige Kleidungsstücke. Richard verteilte das alles unter den vier Söhnen und Schwiegersöhnen von John und Alice. Übrig blieben nur ein paar Kleinigkeiten. Was diese anging, fand Richard am schwierigsten – im emotionalen Sinne am schwierigsten – den Umgang mit den künstlichen Beinen. Aufgrund seiner Angewohnheit, John jedes Mal, wenn er von irgendeiner Innovation auf diesem Gebiet erfuhr, ein neues Paar zu kaufen, gab es viele davon, die wie Scheitholz in einer Ecke des Dachbodens gestapelt waren. Während eines wehmütigen Nachmittags, an dem er sie durchsah, kam ihm eine Idee: eine Idee, die auf praktischer Ebene vielleicht nicht recht sinnvoll war, ihm aber stimmig vorkam. Er setzte sich mit Olivia in Verbindung, die sagte, sie wisse, wie man Sokolow »erreichen könne«. Ein paar E-Mails, die Maße und Fotos enthielten, gingen hin und her. Dabei ergab sich, dass Sokolows Größe, Gewicht, Beinlänge und Schuhgröße weitgehend denen von John entsprachen, und so fand sich Richard am Ende des Tages bei der örtlichen UPS -Niederlassung ein und verschickte mehrere sehr teure rechte Beine aus Kohlenfaserstoff an eine Adresse im Vereinigten Königreich. Natürlich würden maßgefertigte Schäfte und andere Modifikationen erforderlich werden, aber das Ergebnis war, dass Sokolow etwas Schöneres bekommen würde als das, was der National Health Service bezahlte.
    Um elf Uhr morgens, als sie alle vom Trauergottesdienst zurückgekommen waren – eine Zeremonie nicht nur zu Ehren von John, sondern auch von Peter, Chet, Sergej, Pawel, den Bärenjägern, den Wohnmobilbesitzern und zwei von Jakes Nachbarn – schloss Zula ihren Laptop an den großen Flachbildschirm auf Großvaters Veranda an, und sie stellten eine Skype-Verbindung zu Olivia in London her. Sie war gerade von der Arbeit in ihre Wohnung zurückgekommen, und sah in jeder Hinsicht wie die schick gekleidete Geheimdienst-Analytikerin aus. Sobald die Verbindung hergestellt war, bestand sie darauf, dass Zula das Gesicht vor die kleine Kamera über dem Laptopbildschirm hielt und ihren neuen künstlichen Zahn, der von dem ausgeschlagenen nicht zu unterscheiden war, und die Lippe vorzeigte, die eine haarfeine Narbe und eine kleine Kerbe aufwies. Die Kerbe, erklärte Zula, sei behebbar, aber sie habe beschlossen, sie zu behalten. Olivia billigte das von ganzem Herzen und zog ihr Haar zurück – das sie hatte wachsen lassen –, um die von ihr so genannte »Frankensteinnarbe« zu zeigen, die ihrer Kopfhaut in Xiamen beigebracht worden war.
    Nach Erledigung dieser Präliminarien rückte Zula von der Kamera ab. Olivia machte eine beifällige Bemerkung über ihr Gottesdienstkleid. Zula reagierte mit einem gespielt züchtigen Knicks, und strich sich dann das fragliche Kleidungsstück unter dem Hintern glatt, ehe sie sich neben ihrem Großvater auf die Couch setzte. »Du meine Güte, wer sind denn all die feinen Herren?«, rief Olivia aus. »In was für einer Gesellschaft verkehren Sie denn, meine Liebe!« Denn auf Zulas anderer Seite saß Csongor, gekleidet in einen auf die Schnelle in der Übergrößenabteilung des Walmart gekauften schwarzen Anzug. Mit der zeitlosen Unbeholfenheit des tief in Feindesland befindlichen Freiers streckte er einen Arm aus und legte ihn auf der Rückenlehne der Couch über Zulas Schultern. Es folgte ein Slapstickzwischenspiel, als seine Hand sich auf Großvaters Sauerstoffschlauch senkte und ihn abklemmte. Zum Glück hatte Richard Zeit gehabt, sämtliche Handbücher von Großvaters Unterstützungssystem zu lesen und zu lernen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher