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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Erschrecken bei ihm, wie nach dem Ritt über den Bodensee, nur dass der Ritt im Nassen noch andauert; wir sind im Strom des Rheins, irgendwo im Niemandswasser – ob da jetzt schon die Grenze sei, höre ich M. noch keuchen, als hätte das helfen können, ein schweizerisches Wasser unter sich zu wissen. Und dann kam dieses Stichwort, Krampf , und er lachte dabei, und ich sehe auch noch, wie sein Mund in die Breite geht, da hatte er schon die zwei Sichelfalten, die sein Lachen oft so schön und am Ende so bitter gemacht haben, mit sechzehn fing das an oder war über Nacht aus ihm herausgekommen, trotzig gegen die Philister. Wollen wir zurück? rufe ich, und M. sagt Nein, und hält sich an mir, Brust an Brust. Er lockert seinen Fuß, einen der Füße, die ihn später im Stich lassen werden, dann stößt er sich ab und klatscht in die Hände: Es war gar nichts mit dem Fuß, er hat mich verarscht oder wollte keiner sein, der Krämpfe bekommt. Und so schwimmen wir weiter, Seite an Seite bis zum Steckborner Landungssteg. Und den erklimmen wir, als keiner hinschaut, und lassen uns hinter dem Zollhäuschen trocknen, dann geht’s in Badehosen zum nächsten Kiosk, und M. legt seine Münzen hin, ein Fünfmarkstück mit Adler und drei Fünfziger mit knieendem Mädchen. Und das reicht für eine Tafel Sprüngli und vier Maryland-Zigaretten, die es in der Schweiz damals einzeln zu kaufen gab, für eine Cola und ein Päckchen Streichhölzer; er lädt mich ein, wir sind im Ausland, da gelten andere Sitten, Schon gut, sagt er. Wir gehen mit dem Einkauf ans Wasser, an eine geschützte Stelle, die sich gleich findet, vor der Mauer einer Caféterrasse – der Instinkt für geschützte Stellen begleitet uns beide überall hin. Wir teilen Schokolade und Cola, wir rauchen die vier Zigaretten und sehen den Möwen zu; unser Haar ist schon lange getrocknet, aber wir spüren noch den See an der Kopfhaut. Weit drüben das Internat, man ahnt die Fensterfront des Speisesaals, zum Abendessen müssen wir zurück sein, Brot – Eden – Tee steht auf dem Speiseplan, Schmelzkäse und Lyoner, Prothesentee nennen wir das, am Ende kommt alles in die Kanne, die Margarine, der Käse, das Bot, wir wollen nicht zurück. Wir wollen bleiben, wo wir sind, in der Schweiz, die wir schwimmend erreicht haben – wie die Emigranten, sagt M., nur ohne Mantel; wir wollen uns vorstellen, dass es kein Zurück mehr gibt, dass drüben die Häscher warten und wir uns hier durchschlagen müssen, dass wir unsere letzten Zigaretten rauchen, bevor wir uns weiter absetzen, über die Alpen in den Süden. Wir hocken da und schöpfen Kraft, nicht aus der Schokolade, nicht aus den Zigaretten oder der Cola, nur aus der gemeinsamen Sicht auf die Dinge. Die Sonne verschwindet hinter Wolken, es wird langsam kalt auf den feuchtmoosigen Steinen, wir rücken zusammen und teilen die eine Maryland, die ich noch aufgehoben habe, für ihn. Er nimmt drei Züge, auf Lunge, dann gibt er sie weiter, ich nehme einen Zug, mehr paffend; seine Lippen sind etwas blau, als hätte er sie geschminkt, beim letzten Zug hält er den Stummel mit Daumen und Zeigefinger, dann lässt er die Kippe verschwinden. Irgendwann ist alles vorbei, sagt er und meint nur das Internat, und wir raffen uns auf, ein Stelzen ins Wasser, die Arme über dem Herzen verknotet, dazu das Lachen über unsere klappernden Zähne, und die Algen, die von unten kitzeln. M. spritzt mich nass, ich schreie, und die braven Schweizer im Terrassencafé beugen sich über die Brüstung, während er schon vorausschwimmt; wir müssen jetzt gegen die Strömung halten, sonst würden wir in Hemmenhofen landen. Ich will unter Wasser nach seinen Füßen greifen, aber er ist schon zu weit voraus, und ich höre mich noch Warte! rufen und sehe seinen Arm, der mich heranwinkt. Und der Arm war auch noch da, als mein eigener Krampf kam, nicht erfunden, und wir trotzdem weiter schwammen, mit drei Beinen und vier Armen, als lebendes Floß. Den letzten Kilometer zogen wir uns gegenseitig, aus den Tierlauten war ein Stöhnen geworden, aber auch das voll trotziger Lust, bis wir das Ufer vor dem Sportplatz erreichten, auf allen vieren im flachen Wasser, ein verdüsterndes Ufer, kein rettendes. Und am Abend, erschlagen im Zimmer, der Plan, mit den Schwestern, die wir bis dahin nur im Auge gehabt hatten, nach Rom zu fahren – wir müssten sie herumkriegen, weiter dachten wir nicht. M. saß auf dem Bett, die Zigarette brannte in seiner Hand herunter, ich weiß es,
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