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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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eint sich alles zur privaten Fanmeile, und die geschwisterlichen L.s rücken noch näher zusammen, jetzt wie in einem Trikot. Das Eigentor der Portugiesen übersieht man dann eher, der zweite Schweinsteiger-Treffer aber lässt alle so aufspringen, dass die Zierfische abtauchen, und das Ehrentor der Portugiesen reißt man sich auch noch unter den Nagel – Figos Vorlage war ja die Vorlage eines nicht mehr ganz Taufrischen, als hätte einer aus der Gästerunde geschossen. Nach dem Spiel mischt sich die Gesellschaft, und das allgemeine Hin und Her führt dazu, dass mich die Hündin, die zum Haus gehört, leicht in die Wade beißt, was wiederum dazu führt, dass die Gastgeberin die Wade öffentlich untersucht (und der Autor eine Ahnung davon bekommt, was es bedeuten mag, wenn die eigene Wade im Mittelpunkt des Interesses steht, ein kurzes Fußballergefühl). Gegen ein Uhr brechen die meisten auf, wir fahren mit dem Verlegerfreund wieder nach Frankfurt; vor seinem Haus der Abschied für zwei Sommermonate. Man umarmt sich kurz, man sagt, Bis dann, man hebt noch die Hand und steigt in ein Taxi.

29
    Die Bücher von M., die nach Italien sollen, passen in meine alte Tennistasche. Noch einmal das Schütteln jedes Buchs, falls ein weiterer Brief darin läge, und statt etwas Schriftlichem rutscht aus E. T. A. Hoffmanns Kater Murr ein Foto, die Schwarzweißaufnahme zweier Frauen auf einem Bett (der beiden, die mit M. eine Nacht verbracht haben, denkt der Finder). Jede lächelt für sich in die Kamera, als würde sie allein fotografiert, ein unbestimmtes Lächeln, so vage wie das gezeigte Geschlecht. Die eine kniet, sie hält den Hintern hin und schaut frech über die Schulter zurück, die zweite sitzt, ein Bein gestreckt, das andere abgewinkelt, eine Hand mit Zigarette auf dem hellen Schenkel; und über allem ein unsichtbarer Schleier, die Blöße als Form der Bekleidung. Zwei schöne Frauen Ende zwanzig, jede auf ihre Art schön, die eine knabenhaft wie Jean Seeberg in Außer Atem , die andere mit der Ausreißerinnenglut von Maria Schneider in The Passenger (wie M. in seiner besten Zeit auch etwas vom noch schlanken Jack Nicholson besaß). Und Kater Murr, der mir aus Kindertagen, aus einer feinbebilderten Volksausgabe, in der ich gelesen hatte, ohne lesen zu können, als geschmeidige Zwitterschönheit mit langem Schwanz in Erinnerung ist – kein schlechter Aufbewahrungsort für das Foto (zwischen den Seiten 272 und 273 einer Ausgabe im Propyläen-Verlag, Berlin 1923); und in dem Versteck ein angestrichener Vers: »Pfot’ in Pfot’ und Brust an Brust, / Soll uns nichts verdüstern. / Katzbursch sein ist unsere Lust, / Trotzen Katzphilistern!«
    Unsere Freundesjahre im Internat – Tag für Tag den See vor Augen, gegenüber die Schweiz, hinter uns nur ferne Eltern und im Nacken protestantische Unlust und Enge – waren ein einziges Trotzen, mal im Stillen mit Zigarette auf dem Klo, mal lautstark, als wir zum Boykott der Schulandacht aufriefen. Und einmal ganz körperlich, im noch junifrischen See, wir beide allein, allem zum Trotz. Nur ein paar Mark in der Badehose sind wir an einem Samstag zuerst ins Schilf und dann ins Wasser gegangen, um gegen strenges Verbot in die Schweiz zu schwimmen, über den Seearm, der vor kurzem unter mir lag, als sei’s nur ein Fluss, überflogen wie nichts. Beide hatten wir diese Idee einer Flucht, auch wenn M. das Vorhaben anders nannte und damit mehr vorantrieb; er sprach vom Sichabsetzen ins neutrale Ausland, das wir in Angriff nehmen sollten. Immer wieder diese Formulierung, Sichabsetzen, sein Appell an uns, und auf einmal ist es soweit, wir schwimmen einfach los, von einer Bucht im Schilf aus, schwimmen, obwohl das Wasser nicht warm ist, kaum zwanzig Grad, und obwohl wir keine Übung haben, nur uns beide und etwas Mut. Wir schwimmen nebeneinander, nicht zu hastig, nicht zu langsam, wir reden nicht, wir atmen nur, und sehen ab und zu Richtung Steckborn, dem Ort auf der anderen Seite, und manchmal auch kurz zurück. Und als das Schilf hinter uns nur noch ein gelber Streif ist, zittrig im Dunst, und unsere Füße plötzlich in kalte Strömungen kommen, da gibt es schon kein Zurück mehr, nur noch ein Weiter, jetzt doch etwas hastig, wie die Vierbeiner, und auch unter Tierlauten, rauen Tönen, um sich Mut zu machen, zwei kraulende Katzburschen auf der Flucht in die Schweiz. Wir treiben uns gegenseitig an, mal liegt er etwas vorn, mal ich, und als wir schon über die Mitte sind, ein keuchendes
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