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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche
Autoren: Bodo Kirchhoff
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nicht verrät, wie und was ihr Träger denkt. Und natürlich bespricht das Paar die textilen Probleme auch in der Absicht, das Liebenswerte der eigenen Dürftigkeit vom anderen mitgeteilt zu bekommen.
    Nachdem die Garderobenfrage geklärt ist, ein Anruf bei der Mutter. Sie trotzt der Hitze mit Gängen im Keller (im Winter das Mittel gegen den Schnee), die Stimme fast stabil, als sie von dem einsamen Hin und Her erzählt. Sie will auch nachher wieder Fußball schauen, das Spiel um den dritten Platz, und erwähnt sogar den deutschen Trainer mit Vor- und Zunamen, einen Mann, der ihr sympathisch sei und auf seinem Posten bleiben sollte (und der Sohn denkt: Das hat das Fernsehen also geschafft, eine Frau, die ihr Leben lang nicht gewusst hatte, was beim Fußball im Großen und Ganzen passiert, so umzudrehen, dass sie nun wahrlich hofft, die Reste unserer Mannschaft um den sympathischen Trainer mögen die Portugiesen mit komplettem Kader, wie sie sich ausdrückte, und einem viel weniger netten Trainer am Abend besiegen). Ja, sie will sogar bei ihrem heutigen Mittagessen im Ort erstmals einen Blick in die Bild-Zeitung geworfen haben, bis sie der Ausdruck Schwarzrotgeil gewissermaßen zur Vernunft gebracht hat, wie man heraushört, und sie wohl wieder zur FAZ griff. Bis übermorgen, ruft der Sohn ihr zu, dann gehen wir zusammen im Keller spazieren!
    Zwei kleine, wahre Geschichten – das Paar und die Kleiderfrage, die Mutter und das Fußballfieber –, Geschichten, die das Leben diktiert hat, nicht der Tod. Sie hielten jeder Prüfung stand – Prüfungen, die mit Sicherheit kommen –, während viele der anderen Geschichten ungeprüft bleiben, also dasselbe Schicksal haben wie M.s Legenden um sich. Die wahre, nicht erfundene Wahrheit kannte nur er, wie der Romancier, und was er über sich verbreitet hat, besaß auch den Gehalt eines guten Romans, jedenfalls innerhalb seiner kleinen Kreise, für die das Gesetz des Schweigens galt; alles andere war ihm egal. Er log, um lieben zu können, nicht, um geliebt zu werden. Und er musste immer so weitermachen, die Sucht des Romantikers, wie er auch immer weiter geraucht hat. M. war ein Leben lang damit befasst, einen Zigarettenroman in hunderttausenden von kurzen Kapiteln zu schreiben. Eine zu rauchen war seine wahre Beziehung zur Welt, sein Credo (am entgegengesetzten Ende zu jedem Fitness-Glauben), und die einzige Form der Freundschaft mit sich selbst. Und als er sich am Ende mit Zigaretten und Feuerzeug im Bad einschloss, wie sich die Elefanten mit ihrem guten Gedächtnis zum Sterben zurückziehen, war er Raucher und Autor in einem, jemand, der sein Leben in die Luft schrieb, in Ellipsen, die sich nach und nach auflösten, während sein finaler Sänger traurige Lieder sang. Es blieb das leere Päckchen in der Hand und der Blick in den Spiegel, auf den großen Unbekannten, der ein als sinnlos empfundenes Leben systematisch in Rauch auflöst, Vorstufe der eigenen Auflösung zu Asche.
    Und diesseits aller von innen abgeschlossenen Türen eine Sommergesellschaft in einer Doppelhaushälfte mit kleinem, aber feinem Garten, der an einen Park grenzt, als gehörten die alten Bäume dazu. Vor der Parkkulisse eine aufgestellte Leinwand für das fast finale Fußballspiel als Hintergrund des Festes und auf der Terrasse mit Zierfischbecken der erforderliche Beamer. Das Paar mit dem Garderobenproblem, das keins war, steht mit dem Verlegerfreund, der wie immer seinen Bücherstoß dabei hat, neben der strahlenden Gastgeberin und deren Bruder (einst über Tage Gegenstand ihrer Moderationen), während sich der Hausherr mit dem äthiopischen Prinzen, der durch seine Manieren bekannt wurde, um das Bierfass bemüht. Die meisten Gäste aber sitzen, kurz nach Anpfiff, schon in Richtung der Leinwand, allen voran das Ehepaar L., er im Nationaltrikot (das dem Kritiker von Rang keinen Schaden zufügt), sie dicht an seiner Seite, Füße auf dem Rand des Zierfischbeckens; beide sind Dauerläufer, erprobt im Kampf ums Jungsein, und doch verfolgen sie das Spiel wie alte Geschwister, die sich an Kinderzeiten erinnert fühlen. Nur die kühleren Köpfe gehen noch ihrer üblichen Dinge nach, mit einem Auge auf den Fußball; der Verlegerfreund protegiert seine Bücher, der Prinz gibt Erziehungstipps, die Gastgeberin zapft moderat das Bier, und der Autor hört einem Frankfurter Bankier zu, der die Welt- und Geldlage analysiert. Erst als der junge Schweinsteiger in der Dreiundfünfzigsten gewaltsam sein Tor schießt,
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