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Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer
Autoren: Harald Schneider
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das erste Haus vor. Eine Klingel und ein Namensschild suchte ich vergebens. So ging ich in den offenen Hof, der von zahlreichen Nebengebäu den eingegrenzt war. Weder ein Auto noch sonst irgendet was gab mir einen Hinweis auf hier lebende Personen. Ich rief mehrfach »Hallo, ist hier jemand?« über den Hof, doch es kam keine Reaktion. Nicht einmal ein Hund bellte.
    Ich ging weiter zum zweiten Aussiedlerhof. Dort hatte ich mehr Glück. Gerade als ich die fünf oder sechs Stufen der Eingangstreppe erklommen hatte, hielt ein älterer Voll bart auf seinem Rad mit seinem hechelnden Schäferhund im Schlepptau an. Vollbart als Personenbeschreibung war eher verharmlosend, neben seinen langen und wirren Haa ren konnte man an seinem Kopf nur die Augen einigerma ßen erahnen. Und das auch nur, weil das Pupillengrün und das Haargrau einen intensiven Kontrast ergaben.
    »Servus, was tuscht denn du do?«, fragte er mich in tiefstem Pfälzer Dialekt. Ein paar Goldkronen blitzten durch seinen haarigen Urwald. Das war aber das Einzi ge, was man von seinem Mund sehen konnte, während
    er sprach.
    »Guten Tag. Wohnen Sie hier?«
    »Ajo, sunscht wär isch jo net do. Un was willschtn du vun mir? Wer bischt denn du?«
    Als gebürtiger Ludwigshafener hatte ich kein Problem mit dem hiesigen Slang. Das, was dieser seltsame Waldkauz von sich gab, war aber schon richtig herb. Ein Norddeut scher könnte den Dialekt genauso gut als Suaheli deuten. Meine Nichtpfälzer Kollegen würden hier ohne Dolmet scher resignieren.
    »Mein Name ist Palzki, Kriminalpolizei. Hinter Ihrem Haus, dort auf dem Feld, wurde vor einer Stunde ein Mann ermordet. Ist Ihnen da etwas aufgefallen?«
    »Des hot mir der Bolizischt do vorne a schun gesagt, der wu do die Stroß abgeschperrt hot. Weil isch do wohn, hot der misch durchgelosst. Isch hab nix gsehe, isch war do mit meim Hund, dem Zeus, in de Kneip am Bahnhof. Wenn mer allä wohnt, kann ma sisch jo mol ähn Frieschop pe gönne, odder?«
    Fast entschuldigend fügte er an:
    »Es is jo sunscht nix los in dem Dorf. Außer wenn de Stadtrot mol widder bledes Zeig beschließt.«
    Bevor ich mich jetzt in Stammtischdiskussionen über die Kommunalpolitik einließ, versuchte ich, mich schleu nigst zu verabschieden.
    »Danke für Ihre Aussagen. Es kann sein, dass mir später vielleicht noch ein paar Fragen einfallen. Sind Sie telefo nisch erreichbar?«
    »Ä Telefon? Ne, so was kummt mer net ins Haus. Wenn du noch was wisse willscht, kummscht am beschte her. Wenn isch net do bin, unner de Matt liegt de Schlissel.
    Dann kannscht drin uf mich warte. Awer du hoscht recht, vielleicht sollt ich mer so ä Telefon zulege, damit isch die Bolizei arufe kann, wenn des mit denne Pole do morjens iwwerhand nimmt.«
    Ich hatte schon mit kleinen, möglichst bemüht unmerk lichen Schritten den Rückzug angetreten, als mich seine letzte Bemerkung wie ein Keulenschlag traf. Ich drehte mich um.
    »Was für Polen?«
    »Ah, des wescht du gar net? Jeden Morje, kurz vor de Neune halt do uff dem Parkplatz ä altes VW-Bussche an und ä ganzi Herd Pole steije aus. Dann kummen annere Autos und halten a noch an, dann gibts Palaver und die Pole steige in die Autos ei. Am Schluss fahrt des Bussche wieder fort. So geht des im Summer jeden Tach.«
    »War der Transporter heute da?«
    »Ahjo, ich hab dir des doch ewe grad gsagt. Jeden Dag im Summer kummt der do her.«
    »Sie wissen nicht zufällig das Kennzeichen des Trans porters oder ist Ihnen etwas aufgefallen?«
    »Ne, isch weeß bloß, dass der ä RP-Nummernschild hot, der Rest hot misch net interessiert. Nur des Geschrei geht ma als uff die Nerve. Dann loss isch als schun mol mein Hund ä bissel allä naus uff die Stroß, dann is ball widder Ruh.«
    Ich verabschiedete mich nun endgültig, nicht ohne dem Vollbart zu sagen, dass er nachher noch von einem Kolle gen Besuch bekommen würde. Er winkte bloß ab, stellte sein Rad ab und ging mit seinem Zeus ins Haus. Ich nahm mir vor, ihm einen Kollegen zu schicken, dem der Pfälzer Dialekt fremd war.

2
    Mir ging der VW-Transporter nicht aus dem Kopf. Ein örtliches Kennzeichen aus dem Rhein-Pfalz-Kreis. Immer hin hatte ich jetzt eine erste Spur. Die Uhrzeit, es passte einfach alles zusammen. Ich war erst ein paar Meter vom Haus entfernt, da wurde ich auch schon aus meinen Ge danken gerissen. Laut, aber trotzdem undeutlich hörte ich den Vollbart durch ein schräg gestelltes Fenster re den. Dennoch war es kein Dialog, eher ein Monolog mit Pausen. Könnte es
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