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Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer
Autoren: Harald Schneider
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sagte mir einmal, dass dieser Lärm wenigstens zuverlässig sei, im Gegensatz zu mir.
    Nachdem ich den Wagen zwischen einem Altglas- und einem Altpapiercontainer geparkt hatte, drückte ich auf die Klingel, die immerhin noch mit Palzki beschriftet war. Es war für mich jedes Mal ein komisches Gefühl, dort meinen eigenen Namen zu lesen. Stefanie sah sehr erstaunt aus, als ich auf der Treppe im zweiten Obergeschoss auftauchte. Ihre blonden Haare trug sie fest zu einem Zopf gebunden, was bei ihr eigentlich nur sehr selten vorkam. Ihr feines Gesicht strahlte mit ihren blauen Augen um die Wette. Die 36-er Kleidergröße, die sie nach wie vor trug, hatte sie nur wegen der beiden Schwangerschaften vorübergehend in den Schrank verbannen müssen. Bereits drei Monate nach der Geburt hatte sie jeweils ihr Ursprungsgewicht wieder zurück. Und das alles, ohne sich beim Essen groß zurückzuhalten. Solche Menschen beneidete ich wirklich. Aber schließlich war es ja meine Stefanie. Und ich war nach wie vor stolz darauf, mit so einer tollen und schönen Frau verheiratet zu sein.
    »Hallo Reiner, das ist ja eine Überraschung. Ich habe mir vorhin schon Gedanken gemacht, weil das Gespräch so plötzlich weg war. Lass mich raten, du hast wahrscheinlich bloß wieder vergessen, den Akku zu laden. Wäre ja nicht das erste Mal. Komm, setz dich. Finde ich gut, dass du die Kinder selbst abholst und vor allem, dass du schon so früh kommst. Das bin ich von dir gar nicht gewohnt.«
    Halt, irgendwas lief da schief. Stefanie ließ mich nicht zu Wort kommen. Und da kamen auch schon Melanie und Paul aus ihrem Kinderzimmer und stürzten sich auf mich.
    »Papa, Papa, toll, dass du uns abholst. Gehen wir mor gen wirklich in den Holiday Park?«
    Ich wusste nicht, wie mir geschah. Mehrmals wollte ich ansetzen und den Irrtum aufklären, doch ich hatte nicht die geringste Chance. Vielleicht war es besser so. Stefanie hätte mich wahrscheinlich rausgeschmissen. Wahrschein lich direkt vom Balkon runter. Jetzt saß ich mal wieder ganz schön in der Klemme. Da waren die beiden Kinder, die sich wahnsinnig auf ein gemeinsames Wochenende mit ihrem Vater freuten, und ich musste stattdessen einen Mörder jagen.
    »Paul, Melanie, jetzt lasst euren Vater doch erst einmal Luft holen. Er nimmt euch ja gleich mit«, beruhigte Ste fanie die beiden.
    Und zu mir sagte sie: »Ich brauch noch ein paar Minu ten, bis ich alles zusammengepackt habe für die Kinder. Magst du solange einen Kaffee?«
    Sie hörte gar nicht zu, was ich antwortete oder ob ich überhaupt etwas antwortete. Sie ging in die Küche und kam wenige Sekunden später mit einer Tasse Kaffee zu rück.
    »Einen Schluck Milch habe ich dir schon reingeschüt tet, ist das okay?«
    Paul zeigte mir inzwischen den Eiffelturm, den er aus Legosteinen gebaut hatte. Melanie versuchte, den Gute- Noten-Preis für das in Kürze vorliegende Jahreszeugnis hochzutreiben. Immerhin würde es das letzte Zeugnis ih rer Grundschulzeit sein und darauf war sie mächtig stolz. Die Realschulempfehlung hatte sie sich wirklich verdient. Da konnte Paul nicht zurückstehen.
    »Papa, Papa, ich muss dir sofort einen neuen Witz er zählen!«
    Ich durfte mir keinesfalls anmerken lassen, wie mir der Kiefer runterfiel. Pauls Erstklässerwitze konnten unheim lich langatmig sein.
    »Papa, hör zu. Der Fritz lernt in der Schule schätzen. Der Lehrer sagt zu ihm, er soll schätzen, wie alt er ist. Da sagt der Fritz zum Lehrer: 44! Der Lehrer ist erstaunt und fragt Fritz, wie er das denn wisse. Darauf sagt Fritz zu ihm: In unserer Straße wohnt ein Halbidiot und der ist 22!«
    Paul kugelte sich über seinen eigenen Witz vor Lachen auf dem Boden. Melanie fasste sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Den hat er mir heute schon fünf Mal erzählt, die Nervensäge.«
    Stefanie kam mitwisserlächelnd zur Tür herein.
    »Ja, der Paul ist im Moment auf dem Witzetrip. Mach dich auf was gefasst.«
    Stefanie trat nun beladen mit zwei großen Reisetaschen näher. Sie stellte diese vor meinen Füßen ab und meinte: »Zu essen brauche ich dir ja nichts mitzugeben. Du wirst sicherlich schon genügend gerichtet haben, oder? Und stopf mir die beiden nicht wieder mit Süßigkeiten voll, du hast doch bestimmt frisches Obst und Gemüse einge kauft? Wieso hast du eigentlich heute so ungewöhnlich früh Feierabend? Hat dir der Kaffee nicht geschmeckt? Du hast ja gar nichts getrunken.«
    Stefanie hatte die rhetorische Begabung, ständig von einem Thema ins andere zu
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