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Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer
Autoren: Harald Schneider
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mir einmal erzählt hatte. Hier in den vorder pfälzischen Dörfern gab es früher fast nur landwirtschaft liche Betriebe. Auch spielte die Religion eine sehr große Rolle. In Schifferstadt wohnten beispielsweise die Protes tanten in einem eigenen Stadtteil, dem Dörfel. Die Katholiken dagegen, in dieser Region in der Überzahl, wohn ten im Hauptdorf. Wenn es mal vorkam, dass ein fescher Bauernjunge ein fesches Bauernmädel kennenlernte, gab es zwei Fragen zu beantworten, bevor an eine Beziehung gedacht werden konnte. Die erste galt selbstverständlich der Konfession. Es war eine absolute Todsünde, jemanden aus dem anderen Lager zu heiraten. Wenn bei dieser Sache Übereinstimmung erzielt wurde, stellte sich die Frage, ob die Eltern sandige oder lehmige Äcker hatten. Diese Fra ge zielte auf die Zukunftsabsicherung hin, denn lehmige Äcker waren ungleich attraktiver und wertvoller. Das lag daran, dass sandige Böden so gut wie kein Wasser halten, was den Pflanzen nicht so gefällt. Ja, ja, die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage lautete die erste Frage meist: Nimmst du die Pille?
    Inzwischen hatte ich meinen Wagen erreicht und stieg ein. Ich holte mir wieder mein Handy aus dem Hand schuhfach und versuchte, Stefanie zu erreichen. Ich hatte Glück, sie ging dran.
    »Ja, hallo?«
    »Hallo, ich bins, Reiner. Ich muss was Wichtiges mit dir besprechen, hast du einen Moment Zeit?«
    »Ja klar, schieß los, was ist denn –.«
    Weg war die Verbindung. Ich schaute aufs Display und fluchte. So eine Scheiße, da hat man einmal ein Gespräch und dann ist der Akku leer. Ich wusste, dass ich selbst schuld war. Wochenlang ließ ich das Ding im Auto lie gen, ohne es aufzuladen. Ich knallte es verärgert wieder zurück in die Ablage.

4
    Ich wollte bei Stefanie direkt vorbeifahren. Soviel Zeit blieb mir noch, denn das nächste Teammeeting stand erst in zwei Stunden an. Bis zum Ludwigshafener Ortsteil Mun denheim waren es höchstens zehn Minuten. Also drückte ich aufs Gaspedal.
    Warum war Stefanie nur in diese verdammte Wohnung nach Ludwigshafen gezogen? Es gab doch wahrhaftig angenehmere und vor allem ruhigere Gebiete. Auch in Ludwigshafen, das gerne als vergreisende Chemiestadt gebrandmarkt wurde. Was so natürlich nicht stimmte. Ludwigshafen litt schon seit seiner Entstehung unter der Vormacht der Schwesterstadt Mannheim, welche sich auf der anderen Rheinseite befand. Mannheim hat Geschichte, Ludwigshafen gibt es erst seit 150 Jahren. Die zweitgrößte Stadt von Rheinland-Pfalz hat ein gewaltiges Imagepro blem. Es wird zwar seit Jahren kräftig daran poliert, den noch fahren leider noch viel zu viele Bürger aus dem weit räumigen Umland zum Einkaufen durch Ludwigshafen hindurch ins baden-württembergische Mannheim.
    Stefanie hatte sich im Ortsteil Mundenheim, welcher vor 100 Jahren eingemeindet wurde, eine kleine Wohnung gemietet. Das Sechsfamilienhaus war nicht mal so schlecht, aber das Umfeld war grauenhaft. Direkt gegenüber dem Eingang führte in 20 Meter Abstand die Bahnlinie vorbei. Wenn nachts die langen Güterzüge durchrollten, klirrten die Gläser in der Wohnzimmervitrine.
    In der Nachbarschaft befand sich ein Schlossereibetrieb. Morgens um sieben Uhr wurden die Lastwagen mit Ge töse beladen, ab halb acht lief die Schleifmaschine in der offenen Halle auf vollen Touren.
    Doch das war nichts gegen das, was sich hinter dem Haus befand: ein Schrottplatz. Und zwar ein mustergül tiger Schrottplatz. Ich könnte jede Wette eingehen, dass es in Deutschland, – ach was, auf der ganzen Welt! – keinen aufgeräumteren Schrottplatz gab. Jeden Samstag wurden die reichlich vorhandenen Freiflächen sorgfältig gekehrt. Und unter der Woche wurden die Metallteile neu um geschichtet. Dieser Schrottplatz schien das Hobby sei nes Eigentümers zu sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man damit Geld verdienen konnte. Das Fatale an die sem Schrottplatz waren seine Größe und seine Leere. Ge nau am entgegengesetzten Ende befand sich nämlich eine katholische Kirche. Wenn diese zu ihrem sonntäglichen Glockenwahnsinn startete, ging auf der anderen Seite des Schrottplatzes die Welt unter. Der Schrottplatz wirkte wie ein riesiger Resonanzkasten, vergleichbar mit einer Gitarre oder Geige. Dann fühlte man sich wie bei einem ›ACDC‹ Konzert direkt vor den Lautsprecherboxen, wenn diese ›Hells Bells‹ anstimmten.
    Ich verstand nicht, dass Stefanie dies alles unserer neu en Doppelhaushälfte im ruhigen Schifferstadt vorzog. Sie
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