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Erntemord

Erntemord

Titel: Erntemord
Autoren: Heather Graham
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die Grabsteine zusteuerte, spürte sie, wie dieBrise auffrischte. Und sie bemerkte, dass es dämmerig wurde. Sehr rasch sogar. Und obwohl sie vorher keinerlei Anzeichen von Nebel bemerkt hatte, lag ein silbriger Schleier in der Luft.
    Sie ging schneller und trat hinter den Baum, um den Grabstein, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, besser betrachten zu können. Jäh blieb sie stehen.
    Jemand hatte den Stein gesäubert und die Inschrift, die aus dem späten siebzehnten Jahrhundert datierte, wieder lesbar gemacht. Der Stein sah fast genauso aus wie Dutzende andere. Oben war ein Totenschädel eingemeißelt und an den Rändern Sensen und Stundengläser.
    Und dann bemerkte sie den Namen.
    Mary Clare Johnstone .
    Ihr Name.
    Genau ihr Name.
    Etwas schien ihren Hals zu umklammern, und sie spürte, wie ihr Körper von Schwäche erfasst wurde. Sie fiel auf dieKnie und hielt sich mit einer Hand an dem Stein fest, als der Schwindel zunahm.
    Von irgendwoher hörte sie Gelächter. Kinder, die sich amüsierten. Mütter, die nach ihnen riefen. Männer, die mit ihren Frauen sprachen.
    Sie schloss die Augen und sah die Hügel und den Baum. Den Baum mit den knorrigen Ästen und der Galgenschlinge.
    Und die Frau, die am Ende der Schlinge baumelte.
    Um sie herum waberte wilder Nebel, und wieder hörte sieGelächter.
    Damiens Gelächter …
    Sein Gesicht tauchte vor ihr auf.
    Er war da. Er hatte ihre Hand gepackt, und sie standen aufeinem Hügel, wo der Wind sie umwehte.
    Sein Gelächter war … teuflisch.
    Er konnte nicht real sein; der Hügel konnte nicht real sein. Doch sie spürte den Wind an ihren Beinen, die Erde unter ihren Füßen und die Kühle der hereinbrechenden Nacht.
    „Und jetzt gehörst du mir. Zeit zum Spielen, mein Liebling“, sagte Damien.
    Wieder ertönte sein Gelächter, das sich mit dem Wind vermischte.

1. KAPITEL
    Rowenna sah Vogelscheuchen.
    Sie standen über die Maisfelder verteilt, aufgespießt auf ihren hölzernen Kreuzen, und aus der Ferne wirkten ihre Gesichter leer und angsteinflößend.
    Die hochgewachsenen Getreidehalme erstreckten sich in scheinbar endlosen Reihen bis zum Horizont.
    Wie Wachen standen die Vogelscheuchen in einer Linie und überragten die hohen Halme, die sich im kühlen Wind bogen.
    Sie hatte das Gefühl, getragen von der Brise durch den Mais zu treiben, als sich der Nebel über das Feld legte – wie eine dunkle Decke über die Quelle von Schönheit und Licht. Sie sah von oben auf alles herab, wie eine Kamera, die langsam heranzoomte.
    Sie träumte, doch sie kämpfte dagegen an, wehrte sich gegen den Albtraum, gegen das bedrohliche Geflüster in ihrem Kopf.
    Licht … Sie brauchte Licht. Brauchte die herrliche Schönheit der Herbstfarben, um die herankriechende Dunkelheit zu vertreiben.
    Sie würde wieder nach Hause fahren. Vielleicht war es also ganz normal, dass sie von dem Ort träumte, an dem sie aufgewachsen war. Dem Ort, an dem die Farben des Herbstes so wunderschön leuchteten, dass sie nicht in die reale Welt gehörten, sondern in das Land der Träume.
    Gold und Orange, Blutrot, dunklere Rottöne, weiches Gelb – in all diesen Farben schimmerten die Bäume, die sich von den großen Granitbergen bis zum windgepeitschten Meer und den ruhigeren Häfen erstreckten, wo die Schaumkämmeder Wellen den nahenden Winter ankündigten.
    Doch bevor das Eis und die Kälte eines New-England-Winters Einzug hielten, kam der Herbst. Der wundervolleHerbst mit seiner prächtigen Farbenschau. Zuerst kam das sanfte Streicheln der Brise, wie ein zarter kühler Atem auf der Wange. Und bevor diese Berührung zum frostigen Griff eisiger Finger wurde, gab es das große Mähen, die Freudenfeuer des Herbstes, die eingebrachte Ernte.
    Und so erstreckten sich in ihrem Traum die endlosen Reihen der Maisfelder, wobei sich die Halme im auffrischenden Wind geradezu hypnotisch hin und her wiegten. Sie hatte die Maisfelder immer geliebt. Sie erinnerte sich, wie sie als Kind lauthals lachend hindurchgerannt war, wenn ihr Großvater mit ihr Fangen spielte.
    Die Krähen waren auch immer da, mit ihren schimmernden schwarzen Flügeln und dem boshaften Gekrächze, das die Luft erfüllte. Doch mit einer Weisheit, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, wussten die Farmer, wie sie mit den gefräßigen Dieben fertig wurden.
    Sie fertigten Vogelscheuchen und verteilten sie auf den Feldern, wobei jede Vogelscheuche ihre eigene Persönlichkeit hatte. Mrs Abels Vogelscheuche trug einen wilden, mit Nadeln
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