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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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vergessen.
    Er weiß, dass häusliche Einsätze zu den gefährlichsten Aufgaben gehören. Man betritt dabei das Territorium eines anderen Menschen, ein streng geschütztes Revier, das manche mit Zähnen und Klauen verteidigen. Und wenn die häusliche Situation den Punkt erreicht hat, wo man polizeilichen Beistand braucht, sind die Gemüter oft so erhitzt, dass es ohne Weiteres zur Katastrophe kommen kann.
    »Ich geh voran. Pass du von hinten auf, dass keiner im toten Winkel steht«, weist Olli seinen Betreuer an.
    »Ja, ja«, brummt Tossavainen, den Ollis Befehl überrascht und amüsiert.
    Während er die Haustür aufzieht, geht Olli in Gedanken die Methoden durch, die er anwenden kann, falls die Lage brenzlig wird. Hebel und Griffe, Tritte und Schläge, Würgegriffe und Abwehrhaltung gehen ihm durch den Sinn. Er ist nicht so leicht unterzukriegen.
    Die Wohnungstür wackelt von dem Geschrei, das hinter ihr ertönt. Tossavainen und Olli stehen horchend im Treppenhaus. Es klingt nach einem Ehestreit, freilich nach einem ungewöhnlich lauten, was daran liegt, dass auch der weibliche Part sich gleichwertig an der Auseinandersetzung beteiligt. Olli drückt auf die Klingel. Der Zank hält an. Erneutes Klingeln, jetzt gleich zwei Mal. Kurze Stille, dann setzt das Gebrüll wieder ein. Nun geht es darum, wer von beiden die Tür aufmachen soll. Als Olli zum dritten Mal klingelt, wird endlich geöffnet. Er schiebt den Griff der Taschenlampe, die er diesmal nicht vergessen hat, in den Spalt, damit ihm die Tür nicht vor der Nase wieder zugeschlagen wird. Tossavainen nimmt Notiz von Ollis Manöver und nickt beifällig.
    »Polizei, guten Tag!«, ruft Olli durch den Türspalt. »Dürfen wir hinein?«
    Ein Auge mustert ihn durch den Spalt und schaut dann nach unten zu dem Griff der Taschenlampe. Ein elender Fluch ertönt und die Tür geht ganz auf. Dahinter steht ein auf die mittleren Jahre zugehender, mit einem großen Bierbauch ausgestatteter Hüne in einem schmutzigen Trainingsanzug. Olli erklärt, der Lärm habe die Nachbarschaft veranlasst, die Polizei zu rufen. Man möge bitte deutlich leiser reden. Einen Moment lang bringt das Paar es tatsächlich fertig, die Stimme zu dämpfen, aber schon bald speien die Zungen wieder Feuer.
    Die Situation verwirrt Olli und macht ihn wütend. Er hatte geglaubt, schon allein das Eintreffen der Polizei hätte eine gewisse Wirkung, aber die Zankenden scheren sich nicht um die Beamten. Vergeblich versucht er, die Kontrolle an sich zu reißen, indem er selbst lauter wird. Es dauert gar nicht lange, da schreien alle drei aus vollem Hals und der Krach ist noch lauter als zuvor. Allmählich kristallisieren sich dabei die Ursachen des Streits heraus, die im Vergleich zum Lärm wahrhaft unerheblich und banal erscheinen. Das Weibsstück putzt nicht. Das wäre ja noch nicht mal so schlimm, aber spülen tut sie auch nicht. Seit einer Woche müffelt das dreckige Geschirr schon vor sich hin, aber die Alte liegt bloß auf der faulen Haut.
    Die beiden Streithähne scheinen nicht zu kapieren, wie lächerlich klein ihr Problem ist. Sie begreifen es einfach nicht, obwohl Olli sich alle Mühe gibt, es ihnen zu erklären. Er weiß sich nicht mehr zu helfen.
    Tossavainen betrachtet die Schreihälse, schätzt die Situation ab und überlegt. Plötzlich marschiert er in die Küche. Mann und Frau brüllen sich weiter an, bis auf einmal Wasser rauscht. Das Geschrei erstirbt, man horcht. Die Neugier siegt: Vorsichtig schleichen die beiden zur Küchentür und starren verwundert auf den Anblick, der sich ihnen bietet. Olli späht zwischen den beiden hindurch, auch er will sehen, was in der Küche passiert. Er traut seinen Augen kaum: Tossavainen steht am Becken, die Ärmel seiner Uniformjacke aufgekrempelt, und spült.
    Die Ehegatten sehen sich an. Erkennen die Nichtigkeit ihrer Auseinandersetzung, zugleich aber auch die wahren Streitgründe, die sich dahinter verbergen. Sie werden sich doch nicht wegen ungespültem Geschirr trennen? Das tut wohl niemand. Sie müssten nur genauer hinschauen, wo der Schuh wirklich drückt. Bevor es zu spät ist. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
    Die beiden schämen sich. Weil sie nicht auf die Idee gekommen sind, miteinander zu sprechen, bevor sie schreien.
     

    Endlich sind Olli und Tossavainen wieder in dem Haus des toten Mannes. Olli ist bedrückt. Verzagt und geknickt. Er schämt sich für sein Verhalten beim vorigen Einsatz. Er weiß ja, dass es bei einem Wettbrüllen keinen
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