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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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Frage.«
    »Müsste sie nicht eigentlich in der Badezimmerwand stecken, da drinnen?«, überlegt Olli und schätzt die mutmaßliche Flugbahn ab.
    »Müsste sie, tut sie aber nicht«, entgegnet Tossavainen. »Kann sein, dass sie auch in Stücke gegangen ist.«
    In dem Moment erinnert sich Olli, neben dem Schädelsplitter auf dem Flurteppich etwas gesehen zu haben. Er kehrt dorthin zurück, sucht den Teppich ab und entdeckt ein kleines, rissiges Metallstück.
    »Hier liegt was!«, ruft er.
    Tossavainen tritt zu ihm, bückt sich und hebt das Teil auf.
    »Das ist ein Stück vom Geschossmantel«, erklärt er.
    »Aber wie kommt das hier in den Flur?«
    Tossavainen betrachtet den Schädelsplitter, der auf dem Teppich liegt, und stellt fest, dass er von weißem und grauem Staub bedeckt ist. Er richtet sich auf und geht zu der Wand gegenüber der Badezimmertür. Auf dem Fußboden, unmittelbar an der Wand, liegt der gleiche weiße und graue Staub. Tossavainen hockt sich hin und sucht die Wand ab, bis er fündig wird. Als er mit dem Finger über die Stelle streicht, rieseln noch mehr Staub und kleine Gesteinsbröckchen auf den Boden. Dann schaut er prüfend zur Badezimmertür.
    »Die Kugel ist erst an der Wand zersplittert, hier ist sie aufgeschlagen.«
    Olli geht zu ihm und blickt ebenfalls Richtung Bad, stellt aber fest, dass von hier aus nur die linke Schulter und der linke Arm des Toten zu sehen sind. Der Kopf ist von dieser Position aus gesehen hinter der Wand.
    »Wie kann die Kugel hier stecken, wenn die Leiche hinter der Wand liegt?«, fragt er verwundert.
    »Der Mann hat die Waffe doch nicht im Arm gehalten, sie muss sich links von ihm befunden haben. Er hat den Kopf angehoben und leicht nach links gelegt, dabei die Stirn gegen den Lauf gepresst. Deswegen ging der Druck komplett in den Schädel. Das ist genau der richtige Winkel, die Kugel konnte durch die Tür fliegen und in der Wand landen. Die Schädelsplitter sind in den Flur gesegelt und die Bröckchen aus der Wand in umgekehrter Richtung. Zum Teil sind sie auf die Knochensplitter geregnet.«
    »Ist die Waffe deshalb an beiden Seiten abgesägt? Damit sie neben die Kloschüssel passt?«
    »Gut möglich. Der da hatte schon lange über seinen Abgang gebrütet. Deshalb ist er vorletzte Nacht durch die Wälder gestiefelt. Wollte sich unter irgendeiner Fichte ’ne Ladung Schrot verpassen, aber dann hat ihn doch der Mut verlassen. Er ist zurückgekommen und hat Plan B gewählt. Wahrscheinlich hat er ziemlich lange Anlauf genommen, da rechts neben der Leiche liegen nämlich massenhaft Kippen.«
    Olli späht erneut ins Bad und entdeckt die ausgedrückten Zigaretten neben dem Toten.
    Tossavainen tritt zu ihm und sieht ihn eindringlich an. »Bei diesen Fällen muss man unter die Oberfläche gucken«, erklärt er mit Nachdruck. »Anfangs sieht die Situation oft sehr chaotisch aus, aber wenn man es schafft, den Kern des Ganzen zu entdecken, fallen auch die restlichen Puzzlesteinchen auf ihren Platz. Das spart viel Zeit und Zigaretten. Man muss bloß wissen, was man tut.«
    Olli bleibt nachdenklich stehen.
    »Willkommen im Job«, sagt Tossavainen und stiefelt hinaus.

Zweites Kapitel

    Die Tür öffnet sich knarrend. Olli schiebt die Wurfsendungen und Gratiszeitungen mit dem Fuß beiseite und betritt die Diele. Er stellt die Koffer ab und tastet im Halbdunkel nach dem Schalter. Es knackt, dann leuchtet unter dem schäbigen Lampenschirm eine Glühbirne auf. Eine Weile steht Olli nur da und lässt den Blick durch seine leere, abgewohnte Bleibe streifen: eine Einzimmerwohnung mit Kochnische ohne Balkon. Er betrachtet den abgetretenen und verblichenen Linoleumboden, der sich hier und da an den Säumen wellt. Die an den Ecken lädierten Wände. Den merkwürdig glänzenden, seine Umgebung geradezu überstrahlenden Elektroherd. Der Herd ist neu und hellt Ollis Stimmung ein wenig auf. Er könnte nicht erklären, warum. Irgendwie erscheint ihm der neue Herd wie ein freundlicher Zuspruch inmitten der überall wuchernden Trostlosigkeit.
    Olli bückt sich, öffnet den kleineren Koffer und wühlt darin herum, bis er das Gesuchte gefunden hat, dann richtet er sich wieder auf und blickt sich in der Wohnung um, versucht, den zentralen Punkt auszumachen. Er entscheidet sich für die lange Fensterbank unter dem einzigen Fenster. Das Fenster ist so schmutzig, dass man die Außenwelt nur schemenhaft sieht. Olli stellt das Foto von Anna und Eetu, das er aus dem Koffer geholt hat, auf die
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