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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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nächste hineingerissen worden, in die Bombendrohung gegen das Kaufhaus, in eine Polizeiaktion, an der er sich wohl in irgendeiner Weise beteiligen sollte.
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragt er mühsam, sein Blick streift Tossavainen und wandert sofort weiter.
    »Nichts Besonderes«, seufzt Tossavainen. »Wir schauen uns ein bisschen um und passen auf, dass keiner mehr reinkommt. Die Jungs von der Antiterroreinheit übernehmen die eigentliche Arbeit. Wenn hier tatsächlich eine Bombe liegt, werden ihre Hunde sie schon aufstöbern.«
    Einen Augenblick lang herrscht Stille. Erst jetzt wird Olli wirklich klar, dass er mitten in einem Gebäude steht, in dem eine Bombe hochgehen kann. Bisher war ihm der Ernst der Lage nicht konkret ins Bewusstsein gedrungen. Nun aber fühlt sich seine Kehle trocken an und das Schlucken erweist sich als ungewohnt schwierig.
    »Glaubst du, dass hier eine liegt?«, fragt er in dem vergeblichen Versuch, die aufkeimende Furcht zu verbergen.
    »Nein«, erwidert Tossavainen ohne Zögern. »Glaub ich nicht. Das sind immer nur leere Drohungen. Wenn einer was in die Luft jagen will, tut er es. So wie damals in Myyrmäki. Keiner ahnt etwas und plötzlich kracht es. Wenn gedroht wird, passiert nichts. Da will nur jemand Ärger machen. Oder sich ein Vergnügen gönnen. Lässt die Drohung ausgerechnet im Schlussverkauf los und amüsiert sich über den Zirkus, der dabei entsteht. Irgendwo poliert jetzt einer seinen Schnorchel, und zwar kräftig.«
    Olli lacht auf, aber Tossavainen grinst nicht einmal. Im Gegenteil. Er sieht Olli ernst, fast tadelnd an und bringt ihn dazu, sein Lachen herunterzuschlucken. Olli fühlt sich wie ein präpubertärer Pickelbubi, der sich als Polizist verkleidet hat, bis Tossavainen schief lächelt und wegschaut. Als wäre seine ernste Miene Verarschung gewesen, Fopperei – oder doch nicht? Olli ist sich nicht sicher. Plötzlich merkt er, dass Tossavainen mit ihm spielt. Ihn und die ganze Situation beherrscht. Oder bildet er sich das nur ein?
    Olli und Tossavainen gehen zwischen den Warenregalen auf und ab und suchen nach Taschen und Bündeln, auch nach Kartons, die nicht dort hingehören. Tossavainen scheint die Sache nicht ganz ernst zu nehmen, Olli dagegen sucht umso aktiver nach Auffälligkeiten. In regelmäßigen Abständen schielt er zu Tossavainen hinüber, einerseits in der Hoffnung, wenigstens einen kleinen Wink zu bekommen, was er zu tun hat, andererseits aus purer Verwirrung. Der vorige Einsatz geht ihm nicht aus dem Kopf. Es ist ihm vollkommen klar, dass er sich nicht erlauben darf, erfahrenere Kollegen zu kritisieren oder zu belehren, geschweige denn mit ihren Vorgesetzten zu sprechen, aber die Situation erscheint ihm unhaltbar. Man kann doch ein Tötungsdelikt nicht einfach so unter den Teppich kehren! Lässt er sich womöglich selbst etwas zuschulden kommen, wenn er nichts unternimmt? Mindestens Vernachlässigung der Amtspflicht. Und das bei seinem ersten Einsatz. Nicht gerade ein rühmlicher Beginn seiner neuen Laufbahn.
    Nachdem er seine Optionen abgewägt hat, begreift Olli, dass er nur eine Alternative hat: mit Tossavainen selbst über die Sache reden. Vielleicht hat er etwas übersehen. Sie haben den Tatort mehr oder weniger unberührt zurückgelassen, noch ist es möglich, den Irrtum zu korrigieren.
    An der Polizeischule hatte Olli die Angewohnheit, die an Fortbildungskursen teilnehmenden Polizisten zu mustern, ihr Verhalten und ihr Auftreten zu beobachten, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, in was für eine Welt sein Weg führen würde. Von Anfang an fiel ihm etwas auf, was ihn überraschte: Je älter der Beamte war, der durch die Flure schritt, desto unsicherer wirkte er. Auf den ersten Blick war es nicht zu sehen, doch bei genauerer Beobachtung merkte man es. An kleinen Details. Es war, als ob sie sich für ihre Existenz entschuldigten. Das war Olli unbegreiflich erschienen, sogar bedrohlich, denn er hatte geglaubt, es müsse sich genau umgekehrt verhalten. Je länger Olli jetzt aber Tossavainen anschaut, desto deutlicher klingen ihm die Worte im Ohr, die der Schulpsychologe ihnen am ersten Tag der Ausbildung auf den Weg gegeben hat: »Von diesem Moment an beginnt Ihre Motivation zu schwinden.«
    Der Psychologe begründete seine Äußerung mit der Behauptung, niemand könne so stark motiviert sein, dass er noch nach zwanzig Jahren im Polizeidienst jeden Morgen mit demselben Eifer an die Arbeit ginge wie zu Beginn. Auf die eine oder andere Weise
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