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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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Unterricht in den Sinn. Wenn sich am Tatort der geringste Hinweis findet, dass es angebracht sein könnte, die Kriminaltechniker zu rufen, muss dies umgehend geschehen. Je schneller die Maschinerie in Bewegung gesetzt wird, desto weniger Vorsprung bleibt dem Täter.
    Olli denkt noch einmal kurz über seinen Befund nach, dreht sich dann um und geht vorsichtig in die Wohnküche. Dort hockt Tossavainen in der Kochnische an der rechten Wand. Ein Blitz flammt auf. Olli sieht, dass Tossavainen eine Schrotflinte untersucht, die an der Wand lehnt. Tossavainen legt den Fotoapparat auf den Boden, verrenkt den Hals und notiert sich die Seriennummer an der Seite der Waffe.
    »Das ist die bewusste Flinte«, stellt Tossavainen nach einer Weile fest. »Hier auf dem Boden liegen dreizehn Geschosse, Wolfskugeln und zwei Kompaktgeschosse.«
    Olli ist ganz und gar seiner Meinung. Das ist die fragliche Flinte, und wie auf Bestellung liegt daneben genau die Munition, nach der er gesucht hat. Aber wieso steht die Tatwaffe in der Küche und warum liegt neben dem Toten das falsche Gewehr?
    Tossavainen steht auf, dreht sich um und lässt den Blick durch die Stube schweifen. Überall liegt Zeug herum, Kleidungsstücke häufen sich neben dem Sofa, teils auch darauf. Ein paar leere Bierflaschen.
    »Tja«, sagt er gedehnt. »Dann bestellen wir mal eine Kutsche für den Toten.«
    Er zieht sein Handy aus der Tasche und sucht nach der Nummer des Bestattungsinstituts. Es dauert einen Moment, bis Olli begreift. Er hat erwartet, dass Tossavainen die Technik anfordert, nachdem er doch selbst gesagt hat, dies sei die bewusste Flinte. Oder was hat er damit gemeint? Nun will er den Leichenwagen bestellen. Als wären die Ermittlungen bereits abgeschlossen. Dabei sollten sie doch jetzt erst richtig anfangen.
    »Ähm …«, meint Olli zögernd.
    »Achtung, alle Streifen«, knattert im selben Moment das Funkgerät.
    Olli fährt zusammen.
    »Kaufhaus Anttila in der Kauppakatu, null-fünf-eins«, geht die Durchsage weiter.
    Der Code sagt Olli nichts. Er sieht Tossavainen an, der von seinem Handy aufblickt.
    »Na, klar«, schnaubt Tossavainen und lässt die Hand mit dem Telefon sinken.
    »Null-fünf-eins?«, wiederholt Olli stirnrunzelnd.
    Tossavainen reagiert zunächst nicht, fängt dann aber Ollis fragenden Blick auf.
    »Bombendrohung«, erklärt er. »Im Moment sind nur drei Streifen im Einsatz. Das Kaufhaus muss geräumt werden, da ist um diese Zeit noch ziemlich viel Betrieb, die Umgebung muss großräumig abgesperrt werden, und, und, und. Zum Teufel! Wir müssen sofort hin.«
    »Aber … Was machen wir mit dem Mann hier?«
    »Na ja«, sagt Tossavainen und schaut sich um. »Wir schließen ab und kommen später zurück. Ganz einfach.«
    »Wir gehen weg? Das können wir doch nicht machen!«, protestiert Olli.
    »Wieso denn nicht? Meinst du, der rennt uns weg, ohne Kopf? Nee, der kann ruhig noch eine Weile warten. So ist das eben, weißt du. Es gibt nicht genug Streifen. Manchmal muss man sich zerreißen.«
     

    Der Haupteingang des Warenhauses.
    Die letzten Kunden nähern sich der Tür, als Olli eintritt. Er stößt beinahe gegen eine Frau, die mit einem kleinen Jungen auf dem Arm hinausläuft. Sie funkelt ihn wütend an, einerseits, weil er ihr in die Quere kommt, und andererseits, weil er ihr nicht einmal die Tür aufhält.
    Irgendwo protestiert eine alte Oma in höchsten Tönen; sie will unter allen Umständen ihren Einkauf fortsetzen. Das Meckern hilft ihr jedoch nicht und ihre Auseinandersetzung mit der Polizeistreife dauert nicht lange – die Männer fassen sie freundlich, aber bestimmt an den Armen und ihre vom Polizeigesetz beflügelte Evakuierung beginnt.
    Welche Stille in dem großen Kaufhaus, mitten am Tag, mitten in der heißesten Phase des Schlussverkaufs. Nur die hier und da zwischen den Regalen auftauchenden Polizisten bringen Leben in das Bild. Ein aufrührendes Erlebnis, geradezu gespenstisch.
    »Was grübelst du da?«
    Olli schrickt auf und sieht, dass Tossavainen ihn leicht misstrauisch beäugt. Bestimmt sieht er aus, als ob er Hilfe braucht. Worüber er nachdenkt? Es wäre leichter aufzuzählen, worüber er nicht nachdenkt. Sein Kopf ist angefüllt mit Fragen, Verwirrung, Chaos. Er hat immer noch nicht ganz verdaut, dass sein erfahrener Praktikumsbetreuer offenbar ohne jeden Skrupel vorhat, ein Kapitalverbrechen auf die bequemste Art abzuhaken. Er begreift nicht ganz, was da vorgeht. Außerdem ist er aus dieser Verwirrung direkt in die
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