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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin
Autoren: Silke Schütze
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einen Vorschlag für die Musik zu Daniels Trauerfeier habe. Damals war mir das Stück aus dem Paten in den Sinn gekommen, aber heute weiß ich, dass diese Melodie nur hier, an der Elbe, an Daniels Strom der Träume gespielt werden darf. Jetzt spüre ich doch die Tränen aufsteigen. Unwillkürlich blicke ich mich nach Daniel um. Es fühlt sich an, als ob er gleich wiederkommen wird. Vielleicht holt er sich nur noch ein Bier?
    Daniel – der Junge, der Mann, der Vater, der Liebhaber. Der Träumer und Abenteurer. Der zu viel versprach, der enttäuscht wurde.
    Nick legt mir die Hand auf den Arm. »Jetzt ist er angekommen.« Er hält mir die Urne hin. Als ich danach greife, gibt Nick mir ein Zeichen zu warten. Er prüft die Windrichtung, dann weist er nach links.
    Ich hebe die Urne hoch, spüre den Wind an meinem Körper, als würde ich auf einem Schiff stehen, warte eine Sekunde – und als ich die nächste Böe erahne, schleudere ich die Asche nach links oben in die Luft. Der feine weiche Staub wirbelt wie ein heller Funkenregen über den Strand und die Wasserlinie. Zum Teil wird er vom Wind nach oben geweht, zum Teil landet er im Sand und auf den Uferwellen.
    Die Akkordeonmusik hüllt mich ein. Mir ist, als sähe ich Daniel in dem Jeanshemd, von dem Hubertus gesprochen hat. Er geht in Richtung Hafen und verschwindet dann in der Wolkenwand. Dahinter, da bin ich mir sicher, wartet ein Platz in einer schlichten Strandbar, vielleicht in Italien oder Frankreich, und Daniel setzt sich an einen Tisch. Er bestellt einen Rotwein, schaut aufs Meer und atmet tief durch. Er ist zu Hause. Und dann steht der Junge, der mir damals die Hand entgegengestreckt hat, ein letztes Mal vor mir. Daniel mit nassen Haaren, die sich über dem Hemdkragen nach oben wellen. Ich sehe, wie er das junge Mädchen, das ich einmal war, in die Arme nimmt und mit ihm durch die unablässig strömenden Tropfen tanzt. Unter einem riesigen Regenbogen. Dann löst sich das Bild in der Gewitterluft auf.
     
    Jetzt ist es Nick, der meinen Arm fasst. Er nimmt mir sanft die leere Urne aus der Hand und legt sie in den warmen Sand. Ein Blitz zuckt über den Himmel, ein Donner folgt. Es beginnt leise und stetig zu regnen. Stanislaw flüchtet mit seinem Akkordeon unter einen Baum. Aber er hört nicht auf zu spielen. Nick und ich drehen uns in dem warmen Sommerregen zu den Klängen des melancholischen Walzers.

[home]
    Epilog
    Wenn Du heute in einigen Jahren auf Dein Leben zurückblickst, was, glaubst Du, wirst Du am meisten bedauern?
(Gesprächsstoff: Original)
    N ach unserer Flucht wechseln wir uns am Steuer ab und erreichen nach zwei Tagen an einem frühen Morgen die französische Mittelmeerküste. In einem kleinen Ort gelingt es uns, trotz Hochsaison ein bescheidenes Apartment mit Meeresblick zu bekommen. Wir liegen tagsüber in der Sonne, essen mittags im Strandcafé gegrillten Fisch, trinken abends Wein: unsere zweiten Flitterwochen. Jedenfalls nennt es Nick so.
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich mit meiner eigenen Frau noch einmal so viel Spaß im Bett haben würde«, sagt Nick am zweiten Tag und zieht mich wieder zwischen die Laken.
    Ich frage nicht nach Antje oder ob er sich schon lange nach diesem Spaß, vielleicht auch mit anderen Frauen, gesehnt hat. Für mich gibt es nur noch das Heute. Und das Morgen.
    »Erinnerst du dich an dieses Telefonat, in dem wir uns unsere Wünsche gestanden haben?«, fragt Nick mich eines Nachts.
    Ich küsse seinen Nacken. »Ja, wieso?«
    Er dreht sich zu mir um und versucht im flackernden Schein des Windlichts, das auf dem Nachttisch steht, mein Gesicht zu sehen.
    »Was würdest du denn noch gern entdecken?«
    Ich denke nur einen kleinen Moment nach und weiß die Antwort sofort: »Ich würde gern einmal ein paar Tage mit dir nach Hamburg fahren.«
    Nick wirkt etwas verschnupft. »Da warst du doch gerade, hast du schon wieder Sehnsucht?« Er will sich von mir fortdrehen. »Oder lässt dich die Erinnerung an Daniel doch nicht los?«
    Ich halte ihn an der Schulter fest und ziehe ihn wieder zu mir heran.
    »Im Gegenteil!« Mir schmeichelt seine Eifersucht, aber sie ist unnötig.
    Endlich sieht er mich wieder an. »Also?«
    Ich bedecke sein Gesicht mit kleinen Küssen. »Sieh mal, ich bin in Daniels Hamburg gewesen. Und ich würde gern mit dir
unser
Hamburg entdecken. Ich war weder in einem der vielen tollen Restaurants noch im Museum, in der Kunsthalle, im Theater. Und sehr schöne Hotels soll es auch dort geben.«
    Nick nimmt mich
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