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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin
Autoren: Silke Schütze
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»Die Pflanze habe ich gestern aus deinem Beet gegraben.«
    Vor der Haustür steht Stani mit seinem Akkordeonkasten. »Eva, meine Kleine! Da seid ihr ja. Ich schon dachte, dass du hast vergessen, dass ich spielen soll bei Beerdigung.«
    Nick findet sich erstaunlich schnell damit ab, einen unrasierten russischen Straßenmusiker zur Beisetzung eines ihm unbekannten Mannes zu kutschieren.
    »Wo steht das Auto?« Ich schaue auf die Uhr. »Wir müssen uns beeilen.«
    Nick zeigt auf unser Auto, das in einer Parkbucht ein paar Meter weiter steht. »Bitte schön!«
    Stani grinst anerkennend. »Parkplatz in Hamburg vor dem Haus? Anfängerglück!«
    Wir verstauen unser Gepäck, Stanis Akkordeonkoffer und den Erdbeertopf im Kofferraum.
    Dann geht es endlich los. In kurzen Worten erkläre ich Stani, was wir vorhaben.
    »Dann spiele ich also gar nicht?« Stani ist enttäuscht.
    Ich beruhige ihn: »Doch, aber später.« Ich setze ihm unseren Plan auseinander.
    Stanis Augen werden groß, aber dann nickt er. »Man respektieren muss den letzten Wunsch eines Mannes.« Nach diesen Worten sieht er schweigend aus dem Fenster.
    Nick hat den Ohlsdorfer Friedhof bereits im Navi eingegeben, so dass wir den Weg problemlos finden.
    Kurz vor dem Ziel meldet sich Stani wieder von der Rückbank: »Eva, ich nie gefragt habe, warum du aufgehört hast, Akkordeon zu spielen.«
    Mein Magen wird zu einem kalten Klumpen. »Warum ist das wichtig?«
    Stani legt seine Hand auf meine Schultern. »Weil ich Freund bin. Ich will wissen, was dich traurig macht.«
    Nick sieht mich von der Seite an.
    Ich stütze mein Kinn in die Hand und tue so, als ob ich nachdenken müsste. Stanis Frage wirft mich in die Zeit kurz nach dem Tod meines Vaters zurück. Er war stolz auf mich, weil ich ein Instrument spielen lernte – etwas, was er sich als Kind immer gewünscht hatte. Aber seine Eltern hatten weder Geld noch Interesse. Mit Papa durfte ich in Hannover in einer Musikalienhandlung alle Instrumente ausprobieren. Das Klavier war zu groß und zu teuer, die Geige zu schwierig und die Flöte zu langweilig. Stattdessen verliebte ich mich damals in ein rot-weiß glänzendes Akkordeon. Ich kann mich besonders gut an die silbernen Beschläge erinnern, weil sie noch lange unter Wasser glitzerten, als ich das Instrument am Tag nach Papas Tod in den Baggersee warf.
    »Mein Vater hatte mir mein Akkordeon gekauft. Als er starb, wollte ich nicht mehr spielen. Es tat zu weh.«
    Wir schweigen. Stani räuspert sich. Dann sagt er: »Du musst wieder anfangen zu spielen, meine Kleine.«
    Ich schüttle den Kopf, aber Stani zupft an meinem Arm. Seine Stimme ist sehr sanft. »Eva, du musst wieder anfangen.«
    Ich drehe mich um. Stani lächelt mich liebevoll an. Seine Augen erinnern mich an poliertes dunkles Holz. »Du musst Schmerz vertreiben, sonst ist Schmerz das, was bleibt, und nicht das, was Vater dir geschenkt hat.«
    Bevor ich seine Worte begreife, nicke ich. Aber ich bringe kein Wort über die Lippen und drehe mich stattdessen langsam wieder um.
    Nick nimmt meine Hand. Es ist still im Auto, bis wir den Friedhof erreichen.
    »Kapelle 11 , hat Hubertus vorhin am Telefon gesagt«, weise ich Nick an.
    Jetzt wird er doch ein wenig nervös. »Bist du sicher?« Unruhig hält er nach Schildern Ausschau.
    »Aber ja.«
    Als Nick vor der Kapelle hält, haben sich schon viele Menschen dort versammelt. Ich sehe Alexandra und Hubertus, der einen großen Strauß dunkelroter Rosen im Arm hält. Sven Berger steht neben Schwester Renate. Francesca in ihrem eleganten schwarzen Etui-Kleid, auf schwindelerregend hohen schwarzen Stilettos und mit einer überdimensionalen Sonnenbrille sieht aus wie direkt von einer Hollywood-Beerdigung importiert. Sie würdigt mich keines Blickes. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass Mia tatsächlich nicht da ist.
    Ich küsse Nick auf die Wange und fühle mich wie eine Spionin in einem Agentenfilm. »Du weißt Bescheid?«
    Er nickt. Er ist blass, wirkt aber gefasst und konzentriert.
    Stani steigt nach uns aus. Gemeinsam begrüßen wir Hubertus, Alexandra, Filou und einige andere.
    Ich reiche Hubertus Daniels Brief. Er verstaut ihn sorgfältig in der Brusttasche seines Jacketts. Als kleine Gruppe haben sich der junge Ackermann, Frau von Zitzewitz, Werner Majakowski und die dunkelhaarige Anwältin Dibat aus dem Dachgeschoss um Udo und Bertram geschart. Bertram trägt einen Kranz mit der Aufschrift »Die Nachbarn«. Die anderen Trauergäste sind mir unbekannt, und nicht
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