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Er sieht dich wenn du schläfst

Er sieht dich wenn du schläfst

Titel: Er sieht dich wenn du schläfst
Autoren: Mary Higgins Clark
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Wolken und zischte plötzlich an einem hohen, herrlich erleuchteten Weihnachtsbaum vorbei. Seine Füße berührten die
Erde.
»Mein Gott«, keuchte Sterling. »Ich bin im Rockefeller Center.«
M
arissas dunkle Lockenpracht
wallte über ihre Schultern, während sie über die Eisbahn im Rockefeller Center wirbelte. Mit drei Jahren hatte sie begonnen,
Unterricht im Eiskunstlauf zu nehmen. Jetzt, mit sieben Jahren,
war ihr das Schlittschuhlaufen in Fleisch und Blut übergegangen, und neuerdings war es das Einzige, das ihren Schmerz in
Brust und Kehle linderte.
Die Musik wechselte, und Marissa passte sich dem neuen,
sanfteren Walzer-Rhythmus an, ohne nachzudenken. Einen Augenblick lang redete sie sich ein, Daddy wäre bei ihr. Sie meinte
seine Hand in der ihren zu spüren und ihre Großmutter NorNor
vor sich zu sehen, die ihr zulächelte.
Dann fiel ihr ein, dass sie eigentlich nicht mit Daddy Schlittschuh laufen, geschweige denn mit ihm oder NorNor reden
wollte. Sie waren fortgegangen und hatten sich kaum von ihr
verabschiedet. Die ersten Male, als sie miteinander telefonierten,
hatte sie gebettelt, sie sollten zurückkommen oder sich von ihr
besuchen lassen, doch sie hatten gesagt, das ginge nicht. Wenn
sie jetzt anriefen, wollte sie nicht mehr mit ihnen sprechen.
Es war ihr egal, redete sie sich ein. Trotzdem schloss sie noch
immer die Augen, wenn sie im Auto zufällig an NorNors Restaurant vorbeifuhr; es tat so weh, sich daran zu erinnern, wie
viel Spaß es gemacht hatte, mit Daddy dorthin zu gehen. Es war
immer voll dort gewesen, manchmal hatte NorNor Klavier gespielt, und die Leute hatten Daddy immer singen hören wollen.
Manchmal hatten sie seine CD mitgebracht und ihn um ein Autogramm auf dem Cover gebeten.
Jetzt ging sie nicht mehr dorthin. Sie hatte gehört, wie Mommy zu Roy gesagt hatte – er war jetzt Mommys Ehemann –, dass
das Restaurant ohne NorNor in Schwierigkeiten stecke und wohl
bald schließen müsse. Was hatten Daddy und NorNor sich nur
dabei gedacht, als sie weggingen?, fragte sich Marissa. NorNor
hatte behauptet, das Restaurant würde Pleite gehen, wenn sie
nicht jeden Abend dort wäre. »Es ist mein Wohnzimmer«, hatte
sie immer zu Marissa gesagt. »Man lädt nicht Leute zu sich ein
und ist dann nicht da.«
Wenn NorNor ihr Restaurant so liebte, warum war sie dann
weggegangen? Und wenn Daddy und NorNor sie, Marissa, so
liebten, wie sie sagten, warum hatten die beiden sie dann allein
gelassen?
Sie hatte sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Heiligabend hatte sie Geburtstag. Dann würde sie acht Jahre alt werden, und obwohl sie noch immer sehr wütend auf Daddy und
NorNor war, hatte sie Gott versprochen, wenn es an Heiligabend
klingelte und die beiden stünden vor der Tür, dann wäre sie nie
im Leben wieder gemein zu jemandem und würde Mommy mit
den Babys helfen und nicht mehr die Gelangweilte spielen,
wenn Roy andauernd dieselben blöden Geschichten erzählte.
Sie hatte sogar versprochen, nie wieder im Leben Schlittschuh
zu laufen, wenn das Daddy und NorNor zurückbringen würde.
Doch sie wusste, dass Daddy mit dem Versprechen nicht einverstanden wäre, denn er wollte bestimmt mit ihr auf die Eisbahn
gehen, falls er jemals zurückkommen sollte.
Die Musik hörte auf, und Miss Carr, die Schlittschuhlehrerin,
die zwölf Schülerinnen zu einem Ausflug mit ins Rockefeller
Center genommen hatte, bedeutete ihnen, dass es an der Zeit sei
zu gehen. Marissa drehte noch eine letzte Pirouette, ehe sie sich
zum Ausgang begab. In dem Augenblick, als sie begann, ihre
Schlittschuhe aufzuschnüren, fühlte sie wieder den Schmerz. Er
legte sich um ihr Herz, füllte ihre Brust und stieg ihr dann wie
eine Flutwelle in die Kehle. Obwohl es ihr schwer fiel, gelang es
ihr, ihn so weit zu unterdrücken, dass ihr nicht die Tränen in die
Augen stiegen.
»Du bist eine tolle Eiskunstläuferin«, sagte einer der Aufseher. »Du wirst noch ein Star wie Tara Lipinsky, wenn du groß
bist.«
NorNor hatte ihr das auch dauernd gesagt. Ehe sie etwas dagegen tun konnte, begann sich Marissas Blick zu trüben. Sie
wandte den Kopf ab, damit der Aufseher nicht merkte, dass sie
beinahe heulte, und schaute direkt in die Augen eines Mannes,
der an der Bande der Eisbahn stand. Er trug einen komischen
Hut und einen Mantel, doch er hatte ein nettes Gesicht und
schenkte ihr ein scheues Lächeln.
»Komm, Marissa«, rief Miss Carr, und Marissa, die den leicht
miesepetrigen Ton heraushörte, trabte
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