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Er sieht dich wenn du schläfst

Er sieht dich wenn du schläfst

Titel: Er sieht dich wenn du schläfst
Autoren: Mary Higgins Clark
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lesen beabsichtigte.
Das Herrenhaus der Badgetts, errichtet auf einem fünf Hektar
großen Grundstück an der Goldküste im Norden Long Islands,
war ein Tribut an die Fähigkeit der Brüder, niemanden an ihr
hart verdientes Vermögen heranzulassen.
Charlie Santoli, ihr Anwalt, saß bei ihnen in der Bibliothek an
dem verzierten Marmortisch. Seine Aktentasche stand neben
ihm; vor ihm lag ein aufgeschlagener Ordner.
Santoli, ein kleiner, ordentlicher Mann in den Sechzigern mit
dem unglücklichen Hang, seine tägliche Toilette mit einer beträchtlichen Menge Rasierwasser Marke Many Elegance zu krönen, beäugte die Brüder mit der üblichen Mischung aus Verachtung und Angst.
Häufig kam ihm in den Sinn, dass die Brüder von ihrer äußeren Erscheinung her einer Bowlingkugel und einem Baseballschläger ähnelten. Eddie war klein, gedrungen, rundlich, hart.
Junior war groß, schlank, kraftvoll. Und unheimlich – er konnte
mit seinem Lächeln oder auch dem Grinsen, das er für umwerfend hielt, die Temperatur sinken lassen.
Charlie hatte einen trockenen Mund. Es war seine unselige
Pflicht, den Brüdern mitzuteilen, dass es ihm nicht gelungen sei,
ihren Prozess noch einmal vertagen zu lassen, in dem sie wegen
dunkler Machenschaften, Kreditbetrugs, Brandstiftung und versuchten Mordes angeklagt waren. Das bedeutete, Billy Campbell,
der hübsche, dreißigjährige, aufsteigende Rocksänger, und Nor
Kelly, seine glamouröse Mutter, alternde Nachtclubsängerin und
beliebte Restaurantbesitzerin, würden rasch aus dem Versteck geholt und vor das Bundesgericht geladen werden. Ihre Zeugenaussage würde Eddie und Junior in Gefängniszellen befördern, die sie
mit Bildern von Mama zukleistern konnten, die sie nie wiedersehen
würden. Doch Santoli wusste, dass die Brüder selbst vom Gefängnis aus noch dafür sorgen konnten, dass Billy Campbell nie wieder
auch nur einen Ton singen und dass seine Mutter Nor Kelly nie
wieder einen Stammgast in ihrem Restaurant begrüßen würde.
»Sie bringen ja vor lauter Angst kein Wort heraus«, blaffte
Junior ihn an. »Aber schießen Sie nur los. Wir sind ganz Ohr.«
»Ja«, echote Eddie, der sich die Augen trocken tupfte und die
Nase schnäuzte, »wir sind ganz Ohr.«
M
adison Village lag ein paar
Autobahn-Ausfahrten hinter Syosset auf Long Island.
Auf dem Parkplatz der Schule stieg Sterling mit Marissa aus
dem Kleinbus. Nasse Schneeflocken wirbelten durch die Luft.
Ein Mann Ende dreißig mit schütterem, sandfarbenem Haar –
groß, schlaksig, ein Mann, den Sterlings Mutter als »einen langen Lulatsch« bezeichnet hätte – rief Marissa und winkte heftig.
»Hier bin ich, Schätzchen. Mach schnell. Hast du keinen Hut
auf? Erkälte dich nur nicht.«
Marissa stöhnte und lief auf einen beigefarbenen Pkw zu. Er
war zwischen einem halben Dutzend Fahrzeugen abgestellt, die
Sterling eher für Lastwagen als für Autos gehalten hätte. Auf der
Schnellstraße waren sie ihm bereits aufgefallen. Er zuckte mit
den Schultern. Noch etwas, das sich in den letzten sechsundvierzig Jahren verändert hatte.
Marissa sagte: »Hi, Roy!«, und sprang auf den Beifahrersitz.
Sterling quetschte sich hinten zwischen zwei winzige Sitze, die
offensichtlich für sehr kleine Kinder gedacht waren. Was lassen
sie sich als Nächstes einfallen, fragte sich Sterling. Als ich ein
Dreikäsehoch war, habe ich beim Fahren auf dem Schoß meiner
Mutter gesessen und durfte ihr beim Lenken helfen.
»Wie geht es denn unserer kleinen Olympionikin im Eiskunstlauf?«, fragte Roy. Sterling merkte, dass er sich nach Kräften
um gut Wetter bemühte, doch er kam bei Marissa nicht an.
»Gut«, erwiderte sie ohne eine Spur von Begeisterung.
Wer ist dieser Mann, fragte sich Sterling. Er kann nicht ihr
Vater sein. Vielleicht ein Onkel? Der Freund der Mutter?
»Leg den Sicherheitsgurt an, Prinzessin«, mahnte Roy in aufgesetzt fröhlichem Ton.
Schätzchen? Prinzessin? Olympionikin im Eiskunstlauf? Wie
peinlich, dachte Sterling.
Quatsch nicht, dachte Marissa.
Verdutzt sah Sterling zu Roy hinüber, wie er reagieren würde.
Nichts passierte. Roy schaute geradeaus und konzentrierte sich
auf die Straße. Seine Hände umklammerten das Lenkrad, und er
fuhr zehn Meilen weniger als erlaubt.
Auf Schlittschuhen wäre ich schneller zu Hause, raunte Marissa.
Sterling war ungeheuer erfreut, als er merkte, dass er nicht nur
die Macht hatte, ihr auf Verlangen zu erscheinen, sondern dass
er auch ihre Gedanken lesen konnte, wenn er sich
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