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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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berichten lassen.
    Mit eingegipstem Bein und sich jeweils mit Rollstuhl
oder Krücken bewegend, hatte Alisha die meiste Zeit darin investiert, Brutus zu
reparieren. King Kong war ihrer Aussage nach ganz gut dazu in der Lage, das
Haus im Lavendelfeld allein zu bewirtschaften. Also hatte sie die Werkstätten
im Uhrenturm in Beschlag genommen, um dem Hospital und gleichzeitig ihren neuen
und wiedergewonnenen Freunden nahe zu sein.
    Die Stimmung in der Stadt
war merkwürdig geworden. Unheimlich beinahe. An allen Ecken und Enden machte
sich Unmut breit, vor allem zu Lasten des Stadtrates. Die Bewohner des Rondells
waren ohnehin ungehalten über das Maß an Ignoranz, das der Rat ihnen
zuteilwerden ließ. Kein offizieller Vertreter der Stadt hatte sich bei ihnen
blicken lassen. Niemand außer Naomi Steiner, die als
Zunftvorsteherin der Wahrsager auch ihren Sitz im Rat bekleidete und die sich unglaubwürdigerweise bemühte, den Stadtrat nicht
allzu schlecht dastehen zu lassen.
    Doch das positive Echo auf Mrs Steiners Bemühungen war
mehr als verhalten. Allerorts schimpfte man in den südwestlichen Vierteln der
Stadt auf den Rat, der sich einen Dreck um die Wiederaufbauarbeiten im Rondell
zu scheren schien. Und nicht nur dort schimpfte man. Die Wahrsager und alle,
die im Rondell wohnten, erfuhren in den übrigen Stadtvierteln in diesen Tagen
eine ungewohnt hohe Solidarität.
    Das zweite alles beherrschende Thema war
selbstverständlich die Rückkehr von Roland Winter. Wo sich die Menschen des
Gedankens über Jahre hinweg hatten erwehren können, war nun nicht mehr und
nicht weniger als blankes Entsetzen geblieben. Menschen waren nun einmal
Meister des Verdrängens. So hatten viele in Ravinia geglaubt, Winter wäre vor
all den Jahren heimlich durch einen Nachtwächter ermordet worden und man hätte kein
Aufheben darum machen wollen. Da dies zum ganz offensichtlichen Wohle der Stadt
geschehen war, hatten die Leute es stillschweigend hingenommen, leise dankbar
für diese Fügung der Ereignisse.
    Winters Rückkehr nach
Ravinia im vorletzten Jahr hatte erst eine Welle von Gerüchten in die Stadt
geschwemmt. Immerhin war er damals nirgendwo öffentlich in Erscheinung getreten
und man hatte lange Zeit gerätselt, wie nun ausgerechnet die alten Meister zu
Tode gekommen waren. Hässliche Verdächtigungen waren erhoben worden, bis der
Stadtrat diese mit einer gezwungenen Abkündigung abgewendet hatte.
    Doch das Hinterfragen des machtpolitischen Systems in
Ravinia hatte seitdem wie ein Schwelbrand Bestand gehabt. Und all die
Verschwörungstheoretiker, einfach jeder, der versuchte, ein wenig ins Dunkel zu
spähen, fühlte sich in diesen Tagen bestätigt.
    Es würden schwere Zeiten auf den Rat zukommen, wenn
nicht gar ein Umbruch der Verhältnisse in Ravinia. Zu lange schon loderte im
Verborgenen der Hass der ungerecht Behandelten. Der düstergoldenen Stadt
standen einige gravierende Veränderungen ins Haus.
    Lara jedoch befand, dass gerechtere Verhältnisse und
eine Ablösung der Einflussnahme durch die Aristokratie der Stadt gar nicht mal
so schlecht zu Gesicht stünden – solange das Ganze ohne Gewalt vonstattenginge.
Doch genau darin lag eines der Hauptprobleme. Die Nachtwächter waren seit jeher
Garant dafür gewesen, dass die Verhältnisse blieben, wie sie waren. Das hatte
auch Winter gewusst. Ebenso, wie er um die Tatsache gewusst hatte, dass es die
Nachtwächter waren, die ihm und seinen
Sturmbringern möglicherweise am schnellsten gefährlich hätten werden können.
Insofern war der Angriff auf die Wache nur eine logische Konsequenz
strategischen Denkens gewesen.
    Doch hatte er so viel Schmerz und Leid über der Stadt
ausgeschüttet, dass man sich fühlte, als wäre das eigene Herz in Stein gefasst
worden. Frierend in einer Kälte, gegen die man keine Kleidung anziehen konnte.
    Robert und Alisha waren derselben Meinung.
    Es wurde in den letzten Tagen allgemein viel
diskutiert in der Stadt. Sehr viel. Nicht bloß am Tisch des Pfarrhauses bei Tee
und Baklava.
    Schließlich räusperte sich Alisha Folders. Sie
lächelte, aber die traurigen Falten um ihre Augen wollten diese Mimik nicht
authentisch wirken lassen.
    Â»Es … gibt da noch etwas, das dich sicherlich
interessieren wird, Lara«, begann sie zögerlich.
    Lara horchte auf.
    Â»Ja?«
    Die alte Meisterin ihrer Mutter atmete langsam,
hörbar,
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