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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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desto besonderer waren wohl zwangsläufig die Konsequenzen
und Probleme, die damit einhergingen.

    Gefühle sind wie ein Sturm.
    Und genau wie ein Sturm konnten sie sich legen und
beruhigen, sich von der Sonne umfangen lassen und den Sommer einatmen.
    Weitere Tage vergingen, während sich Ravinia und die
Menschen und Gefühle der Stadt nur sehr langsam erholten. Die Folgen der
Rückkehr Roland Winters waren noch lange nicht abzusehen.
    Doch der Herr über Wind und Staub war von Lord Hester
in einen Raben verwandelt worden. Möglicherweise wohl so etwas wie die
Höchststrafe, der letzte Strohhalm, nach dem der Rabenlord greifen konnte, wenn
er sich nicht mehr anders zu helfen wusste.
    Und trotzdem war es irgendwie eine elegante Lösung,
fand Lara. Niemand hatte sich eines Mordes schuldig gemacht, um die Sache zu
beenden. Kein Opfer zum höheren Wohl.
    Doch fragte sich Lara natürlich auch, warum Lord
Hester nicht schon vor all den Jahren zu dieser Lösung gegriffen hatte? So viel
hätte ihnen dadurch erspart bleiben können. Vor allem Laras eigenes Leben wäre
von Grund auf anders verlaufen.
    Sie beschloss, Lord Hester zu fragen, wenn sie ihn das
nächste Mal sähe. Doch dazu war es noch nicht gekommen. Lara hatte bemerkt, wie
sehr den Lord all das getroffen hatte, was in Ravinia vorgefallen war. Sie
konnte also verstehen, wenn er sich eine Weile zurückzog. Immerhin hatte er mit
seiner Verantwortung fertigzuwerden.
    Alles hätte anders laufen
können, hallte es versteckt in ihrem Kopf nach. Die
Sehnsucht nach ihren Eltern war nie gänzlich verklungen.
Aber wie auch während der letzten Jahre versuchte Lara, sie mehr und mehr wie einen Teil von sich zu
behandeln. Es gelang – die meiste Zeit über.
    Auf der anderen Seite brachte es nichts, sich im
Schmerz über eine weit zurückliegende Vergangenheit zu suhlen. Sie wollte nach
vorne blicken. Es gab so viel, worüber sie sich freuen konnte – oder zumindest
erleichtert, weil es so gekommen war.
    You remind me of home , hallte es durch Laras Gedanken. Ben Gibbard beschallte das Mädchen,
dessen Leben wie ein Herbstregen war, mit seiner Gitarre und seiner Stimme. Ja,
Lara hatte ihren heiß geliebten MP 3-Player wieder
und all ihre über viele Jahre gesammelte
Musik. Endlich, endlich. Denn für Lara war Musik fast so etwas wie ein
Grundnahrungsmittel.
    Für Patrick war es genauso gewesen. Ein Stich
durchfuhr ihr Herz. Es machte sie betroffen, dass es so gekommen war, wie es
gekommen war.
    Er hatte einfach zur richtigen Zeit die richtige Musik
gehört. Aber er hatte auch eingesehen, dass er eines nicht war: derjenige, für
den ihr Herz wirklich und wahrhaftig schlug. Sie würde sehen müssen, was das
Leben ihrem Herzen noch bescheren würde. Aber dem jungen Schreiber aus dem Haus
der Traurigkeiten gehörte es nicht. Ihm gehörte nur ein kleiner Teil, aber
nicht der, den er sich gewünscht hätte – oder den Lara sich zu geben gewünscht
hätte. Es hatte nur eines einzigen
Hineinhorchens in ihr Innerstes in einem ruhigen Moment bedurft, um
letztendlich zu begreifen, dass Patrick Davenport und sie auf eine andere Weise
glücklich werden mussten – jeder auf seine eigene.
    Gefühle waren nun einmal wie ein Sturm.
    Und das war leider nicht zu ändern.
    Wohin die Wogen einen trugen, konnte sich niemand
aussuchen, nur hoffen und versuchen, den Kurs mit den arg begrenzten eigenen
Möglichkeiten ein wenig zu beeinflussen.
    Die Sonne brach durch das Blätterdach der Bäume, die
den kleinen Park überdachten. Hierhin wurde den Patienten des Hospitals von
Ravinia Ausgang gewährt, um frische Luft zu schnappen.
    Hier wollte sie Tom treffen. Tom, der mit tiefen Schnitten
verletzt aus dem Geschehen katapultiert worden war. Oder besser gesagt, er war
energisch aus dem Verkehr befohlen worden. Und nun musste er den Anweisungen
der Ärzte des Hospitals gehorchen.
    Sie folgte einem Kiesweg, während die Temperaturen
davon kündeten, dass es einer jener brütend heißen Tage werden könnte, an deren
Ende man bloß noch Durst verspürte. Zwei kleine Teiche waren in den perfekten
britischen Rasen eingelassen. Es war derart widersinnig idyllisch an diesem
Flecken der Stadt, dass man kaum auf den Gedanken hätte kommen können, es wäre
in letzter Zeit etwas Weltbewegendes geschehen.
    Tom saß auf einer Parkbank, wie Henry McLane es ihm
häufig diktierte
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