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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia
Autoren: Thilo Corzilius
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in diesen Tagen. Und er tat etwas, das irgendwie nicht so
recht zu ihm passen wollte: Er spielte Schach. Ein großes Schachbrett von
mehreren Metern Kantenlänge und Figuren von der Größe kleiner Kinder war mit
Platten in den Rasen eingelassen. Sein Gegner hieß Henry McLane, der es sich
nicht nehmen ließ, in Ravinia zu helfen, wo er konnte – solange es seine
Arbeitszeiten in Edinburgh zuließen. Er hatte eben das großväterlichste Herz,
das man sich nur wünschen konnte. Und Lara war unendlich dankbar dafür, dass
die Kräfte des alten Mannes, der schon so viele Schrecken durchlebt hatte,
nicht abzunehmen schienen.
    Sie fielen sich in die Arme, als hätten sie sich
monatelang nicht gesehen. Dabei war das letzte Mal erst gestern gewesen. Doch
sie waren einander alles, was ihnen von der Familie McLane geblieben war.
    Henry hob seine Enkelin in seinen Armen leicht hoch,
gerade so weit, dass die junge Frau den Boden unter den Füßen verlor – nur, um
sie ebenso sanft wieder abzusetzen.
    Â»Du siehst gut aus«, machte er ihr ein Kompliment und
strich ihr eine Strähne des bernsteinfarbenen Haares aus dem Gesicht.
    Â»Danke«, strahlte sie. Dann sah sie Tom an. »Hey!«
    Â»Hi«, begrüßte Tom sie und zwinkerte ihr zu, genauso,
wie es Baltasar Quibbes einst getan hatte. Na immerhin hatte Tom das Lächeln
nicht gleich wieder verlernt, dachte Lara. Vielleicht hatte er eingesehen, dass
es einem viel eleganter durch die schwereren Stunden des Lebens half als jedes
mürrische Gegrübel.
    Â»Und?«, fragte Lara in die Runde. »Wie geht’s?«
    Â»Hm«, machte Henry. »Ich würde ja behaupten, Tom
rehabilitiert sich ganz gut. Nur bei mir bin ich mir nicht so ganz sicher.«
    Â»Wieso?«
    Â»Hast du schon einmal
gegen einen Uhrmacher Schach gespielt?
Ich komme mir ein wenig wie Sisyphos vor – oder ich werde
langsam alt.«
    Â»Quatsch«, lehnte Lara entschieden ab. »Alt wirst du
nicht. Es liegt wohl wirklich am Schach.«
    Â»Du bist ein Schatz«, bemerkte Henry und schenkte ihr
sein Großvaterlächeln.
    Lara setzte sich auf die zweite Bank und beobachtete
die beiden eine Weile beim Spiel. Tom durfte so wenig wie möglich aufstehen,
also gab er Spielanweisungen an Henry weiter, die dieser dann zwischen den
Figuren umherspazierend umzusetzen hatte. Sie verstand – abgesehen davon, dass
sie die Regeln kannte – nicht besonders viel von Schach, aber es reichte, um zu
durchschauen, wie sehr Tom ihren Großvater ins Schwitzen brachte. Und zwar
nicht bloß wegen der zusätzlichen Bewegung, die Henry zugemutet wurde. Gegen
einen messerscharfen Verstand wie den von Tom Schach zu spielen, musste
ungemein aussichtslos sein.
    Das macht nichts, dachte Lara. Wenn Henry schon auf
ihren Beschluss hin nicht alt werden durfte, dann war es nur klug, wenn Tom
dafür sorgte, dass er im Kopf jung blieb.
    Schließlich hatte Tom den armen Henry in die
hinterletzte Ecke des Spielfeldes gedrängt, als sie plötzlich auf der anderen
Seite des Kiesweges jemanden winken sahen.
    Geneva kam zu ihnen herüber. Sie wirkte ziemlich
gefasst, etwas, das Lara bewunderte. Waren doch die letzten beiden Wochen für
sie besonders hart gewesen. Ihr blondes Haar verwehte lässig durch eine kurze
Brise und ihre gefärbte Locke tanzte vor ihrem Gesicht. Ihre smaragdgrünen
Augen, von denen eines nicht echt war, wirkten bloß einen winzigen Deut müder
als in leichteren Zeiten.
    Nun stand Tom auf, um ihr entgegenzugehen – und Henry
ließ ihn gewähren. Toms Bewegungen wirkten erschreckend schwerfällig, dachte
Lara. Doch war Tom einem harten Trainingsprogramm unterworfen, um eine
dauerhafte Schädigung von Nerven und Muskeln zu verhindern. Man gab sich
zuversichtlich, dass er bald wieder werden würde wie früher.
    Lara beobachtete ihre beiden Freunde, wie sie
nebeneinanderher an einem der Teiche entlangspazierten.
    Â»Na immerhin hat das ganze Chaos doch etwas Gutes
hervorgebracht«, meinte Henry bedeutungsschwer und ließ sich neben seiner
Enkeltochter auf der Bank nieder.
    Lara blickte auf das Spielfeld.
    Â»Du hast die Figuren umgesetzt«, schalt sie ihn mit
einem breiten Grinsen.
    Henry McLane tat unschuldig.
    Â»Ach was«, meinte er. »Das ist ihm doch ohnehin völlig
egal. Der macht mich auch so fertig.«
    Lara schüttelte laut lachend den Kopf.
    Und dann folgte sie der Handbewegung
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