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Enwor 7 - Das schweigende Netz

Enwor 7 - Das schweigende Netz

Titel: Enwor 7 - Das schweigende Netz
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schlaf. In Wahrheit war der Grund allerdings ein ganz anderer — nämlich der, daß er diese wenigen Stunden noch gewinnen wollte, ehe er die endgültige Entscheidung treffen mußte.
    Del schlug so plötzlich und hart mit der Faust auf den Tisch, daß Skar zusammenfuhr. Erst dann begriff er, daß er länger als eine Minute an Del vorbei ins Leere gestarrt hatte, ohne ihn auch nur zu sehen.
    »Was ist los mit dir, Skar?« fragte er aufgebracht. »Du kannst dich nicht einfach davonmachen und so tun, als ginge dich das alles hier nichts an. Wir brauchen dich!«
    »Unsinn«, widersprach Skar. Er war müde. Seine Glieder fühlten sich an, als wären sie mit unsichtbaren Bleigewichten beschwert, und eine noch größere Last schien sich auf seine Gedanken zu legen. Eigentlich hatte er nicht einmal mehr Lust, mit Del zu reden. Er wollte sich nur hinlegen und ein paar Stunden schlafen. Und danach gehen.
    Trotzdem fuhr er fort: »Ihr braucht mich jetzt so wenig, wie ihr mich vorher gebraucht habt.«
    »Wir hätten
dich gebraucht, Skar«, antwortete Del scharf. »Ich lasse nicht zu, daß du gehst. Die Männer brauchen dich. Das Heer braucht dich.
Ich
brauche dich.«
    Von allem war der letzte Satz der einzige, der Skar wirklich traf. Eine Weile sah er Del beinahe traurig an, dann stand er auf, trat ans Fenster und blickte auf den Fluß hinab. In dem gewundenen weißen Band waren häßliche graubraune Flecke entstanden, ein Muster aus pockennarbigen Kratern und rasch zusammenwachsenden Spinnweben, das bald auch das letzte Eis verschlungen haben würde. Mit dem Morgen kam Nebel auf, ein deutliches Zeichen, daß die Tage nun wirklich wärmer wurden. Skar revidierte seine Schätzung vom vergangenen Abend. Sie würden längstens noch eine Woche hierbleiben.
    Er hörte, wie Del hinter ihm ebenfalls aufstand, und knüpfte an das unterbrochene Gespräch an, ohne sich herumzudrehen. »Ihr braucht mich nicht, Del. Ein Schwert mehr oder weniger spielt keine Rolle. Ihr braucht das, was ihr in mir seht. Aber das bin ich nicht.«
    »Selbst wenn es so wäre!« Del trat mit einem zornigen Schritt neben ihn und hob die Hand, wie um ihn an der Schulter hemmzureißen. Skar nahm die Bewegung als verzerrte Spiegelung im farbigen Bleiglas des Fensters wahr. Und er sah auch, daß Del die Bewegung nicht zu Ende führte, als sich ihre Blicke in der Scheibe trafen.
    »Selbst wenn es so wäre«, wiederholte Del noch einmal, »würde das nichts ändern. Du kannst nicht einfach
gehen,
Skar. Die Männer brauchen dich, das, was sie in dir sehen, ob es nun da ist oder nicht. Du kannst nicht einfach tun und lassen, was dir gefällt. Du bist ein Hoher Satai.«
    »Das bin ich nicht!« Skar war selbst ein wenig überrascht, wie heftig er Del widersprach. Er fuhr herum, starrte ihm einen Moment zornig ins Gesicht und versuchte dann, seinen Worten ein wenig von ihrer Schärfe zu nehmen, indem er lächelte. »Aller-höchstens ein halber«, fügte er hinzu, »denn schließlich teilen wir uns deine Stellung, nicht wahr? Und selbst du bist es nicht wirklich. Die Satai haben niemals wirklich einen Kriegsherren gehabt.«
    »Weil sie ihn niemals nötig hatten«, antwortete Del. »Sie waren ...«
    Jemand klopfte, und Del brach mitten im Wort ab und fuhr ärgerlich herum. Die Tür wurde aufgerissen, noch ehe er auch nur Gelegenheit fand, auf das Klopfen zu antworten, und ein junger Satai stürmte herein.
    Er sah abgehetzt aus. Sein Gesicht und seine nackten Oberarme glänzten vor Schweiß, und sein Atem ging so schnell, daß er im ersten Moment Mühe hatte, überhaupt zu sprechen. Mit weit ausgreifenden Schritten eilte er auf Del zu und blieb in eindeutig demütiger Haltung stehen; ja, für einen Augenblick sah es fast so aus, als wolle er auf die Knie herabfallen, und Skar hatte das sehr sichere Gefühl, daß seine Anwesenheit der einzige Grund war, aus dem Del ihn daran hinderte.
    »Was willst du?« fragte Del ungehalten. »Ich habe Befehl gegeben, unter keinen Umständen ge —«
    »Jemand kommt, Herr«, unterbrach ihn der Satai. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Er sprach keuchend und so schrill, daß Skar Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen. »Jemand nähert sich der Burg.«
    »Und?« Dels ärgerliches Stirnrunzeln vertiefte sich noch.
    »Zum Teufel, es kommen Hunderte hierher, jeden Tag!«
    Der Satai versuchte zu antworten, aber er war einfach zu erschöpft dazu. Er keuchte, hob die Hand und bewegte die Lippen wie ein Fisch auf dem Trockenen, und wie
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