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Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lagen auf dem felsigen Grund des Einschnittes, und das grelle Wetterleuchten hinter den Staubwolken hatte jetzt fast ganz aufgehört. »Du hast schon verloren, Vela«, murmelte er. »Was hier geschehen ist, wird nicht verborgen bleiben. Fünfzig deiner Drachen sind getötet worden. Der Mythos eurer Unbesiegbarkeit ist beseitigt. Du hast deine stärkste Waffe verloren.«
    Vela antwortete nicht, aber Skar konnte sehen, wie es hinter der starren Maske ihres Gesichts arbeitete. »Vielleicht hast du recht«, flüsterte sie nach einer Weile. »Aber auch das wird deine Freunde nicht retten.« Ihre Hand schloß sich fester um den Stein, so fest, daß die Knöchel wie kleine runde, weiße Narben hervortraten.
    Sie warteten. Der Schlachtenlärm hörte nach und nach auf, und die brodelnde Staubwolke über der Schlucht spie die ersten Reiter aus. Sie waren müde, verletzt und blutend, erschöpft bis zum Zusammenbruch — aber siegreich!
    Zeit verging — Skar wußte nicht, wieviel: Sekunden, die sich zu Minuten dehnten. Zuviel Zeit, wie er an Velas Reaktion erkannte. Sie bot alle Kraft auf, äußerlich gelassen zu erscheinen, aber Skar kannte sie zu gut, um sich täuschen zu lassen. Und die Hügel im Norden blieben leer.
    Auch die Verteidiger unten im Tal wurden sichtlich unruhig.
    Die Überlebenden des Reiterheeres kehrten nach und nach in den Schutz der Schlucht zurück. Es waren weniger, als Skar gehofft hatte. Sie mußten im letzten Teil des Kampfes einen hohen Blutzoll für ihren Sieg entrichtet haben. Aber die Hornkrieger kamen nicht. Es war, als hätte die Zeit, die sie ausgespien hatte, sie ebenso plötzlich wieder verschluckt wie einen Alptraum, der sich unter den ersten Strahlen der Sonne in Nichts auflöste.
    »Warum gibst du es nicht zu?« fragte Skar schließlich. »Erinnerst du dich an deine eigenen Worte? Es ist keine Schande, von einem solchen Gegner besiegt zu werden.«
    Vela antwortete nicht. Ein einzelner Reiter erschien auf den Hügelkämmen im Norden und sprengte ins Tal hinab. Skar sah, wie unter den Rebellen erneut Unruhe ausbrach. Eine schwerfällige, im einzelnen nicht zu erkennende Bewegung lief durch die Schlucht.
    »Diese Narren«, sagte Vela leise. »Ich werde sie strafen. Sieh hin, Skar. Sieh genau hin, wenn du wissen willst, was ich mit denen tue, die sich mir widersetzen. Sieh ganz genau hin.«

S ie hob die Hand mit dem Stein hoch über den Kopf. Ihr Gesicht verzerrte sich. »Sieh hin, Skar«, keuchte sie noch einmal. »Und dann sag mir, ob es das wert war.«
    Der Stein begann zu glühen, rot zuerst, dann gelb und weiß, in einem grausamen, unerträglichen Licht. Skar schrie vor Schmerzen, aber der Hornkrieger hielt ihn unbarmherzig fest und zwang ihn, weiter hinzusehen. Der Kristall loderte wie eine Sonne in Velas Hand, und seine Glut steigerte sich immer weiter, wurde greller, gleißender, bis das Fleisch ihrer Hand durchsichtig wurde und er die Knochen darunter sehen konnte.
    Ein dumpfer Schlag ging durch den Boden. Die Erde stöhnte, und irgendwo unter Skars Füßen baute sich ein machtvolles, drohendes Knistern auf. »Sieh es dir an, Skar«, keuchte Vela. »Sieh zu, wie deine Freunde sterben.«
    Skar starrte aus schreckensweiten Augen ins Tal hinab. Die Schlucht bebte. Gewaltige Risse und Sprünge durchzogen ihre Wände, und von ihren Rändern lösten sich in immer rascherer Folge Steine und Felsbrocken und regneten auf Menschen und Tiere herab. Hier und da glaubte Skar dunkle, lodernde Rotglut zu erkennen. Ein tausendstimmiger Schrei des Entsetzens wehte durch das Grollen der gemarterten Erde zu ihm herauf. Aus dem geordneten Truppenaufmarsch wurde eine blinde, kopflose Flucht. Es roch plötzlich nach brennendem Stein, und Skar erinnerte sich wieder des unguten Gefühls, das er gehabt hatte, als er unten in den Höhlen gewesen war. Das unterirdische Labyrinth war durch Vulkanismus entstanden. Diese Gänge hatte Feuer gegraben, eine Glut, die längst nicht erloschen war, sondern nur schlief, vielleicht seit Äonen.
    Und dann war es vorbei.
    Die Erde hörte auf zu zittern, und die Sonne in Velas Hand erlosch wie eine Kerzenflamme, die der Wind ausgeblasen hat. Die
Errish
stieß einen ungläubigen Laut aus, wankte wie unter einem Hieb und umklammerte den Stein mit beiden Händen.
    Er war tot. Das Feuer in seinem Inneren war erloschen, und von einem Moment zum anderen hielt Vela nichts als ein Stück wertlosen Kristalls in Händen.
    Ihr Blick bohrte sich in den Skars. »Was hast du getan?«
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