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Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und gesichtslosen Sumpfmänner, die während der letzten vier Tage ununterbrochen Wache an Dels Lager gehalten hatten. Wenn er kam, dann gingen sie, immer und ohne auch nur einen Blick oder ein Wort mit ihm zu wechseln, als spürten und respektierten sie seinen Schmerz mit dem Instinkt wacher, finsterer Tiere, aber sie waren immer da; schweigende Schatten, die eine lautlose Totenwache hielten. Es wäre seine Aufgabe gewesen — vier Tage und Nächte ohne zu schlafen und ohne sich zu bewegen, Wache zu halten am Totenlager des Satai, wie es die uralten Riten vorschrieben — aber er war zu müde dazu, und er war ihnen dankbar, daß sie ihm diese Last abnahmen. Jedenfalls konnte er sich einreden, daß sie es taten.
    Es war keine Totenwache, das wußte er, und sie waren alles andere als Schatten. Aber er wollte nicht wissen, was sie wirklich taten. Er hatte schon einmal bei ihnen gesessen, vor Tagen, die ihm wie Jahre vorkamen, und er hatte schon einmal erlebt, wozu sie fähig waren. Was er gespürt hatte — damals, in einem anderen Leben —, das war nur ein winziger Hauch ihrer Macht gewesen, ein winziges Stückchen der ungeheuren psionischen Gewalt, die zu entfesseln sie in der Lage waren, aber schon diese flüchtige Berührung hatte genügt, ihn bis ins Innerste seiner Seele erschauern zu lassen. Er wollte es nicht wissen.
    Er entfernte sich ein paar Schritte vom Eingang, blieb auf halbem Wege zwischen dem Haus und der halb verfallenen Wehrmauer stehen und zog den Umhang enger um die Schultern. Die Zinnen der Mauer begannen rechteckige schwarze Zacken aus der Sonne zu beißen, und die Nacht meldete sich mit einem merklichen Auffrischen des Windes und eisiger Kälte an. Es würde wieder kalt werden, kälter als in der Nacht zuvor, die ihrerseits eine Winzigkeit kälter als die vorhergehende gewesen war; ein winziges bißchen nur, aber doch kälter. Und auf dem Paß würde wieder eine Winzigkeit Schnee mehr liegen. »Du solltest damit aufhören, Skar«, sagte Gowenna leise.
    Er hatte nicht gemerkt, daß sie ihm abermals gefolgt war. Er ging ihr aus dem Weg, seit vier Tagen; zuerst unauffällig, schließlich so offen, daß sie es einfach merken mußte. Aber augenscheinlich hatte sie sich entschlossen, seine kaum mehr versteckte Ablehnung zu ignorieren. »Womit?« fragte er, ohne sich umzudrehen. Der Wind peitschte sein Gesicht, und die winzigen Eiskristalle, die er mit sich trug, schmerzten. Es war ihm egal.
    »Du weißt genau, womit«, sagte Gowenna betont. In ihrer Stimme schwang eine leise Spur von Ungeduld, hinter der sich Ärger verbergen mochte. »Du quälst dich, Skar«, fuhr sie fort, als klarwurde, daß er nicht antworten würde. »Seit vier Tagen hockst du dort drinnen und quälst dich selbst. Findest du es sinnvoll, das Messer, das dir Vela in die Brust gestoßen hat, auch noch selbst herumzudrehen ?«
    »Del ist tot«, sagte Skar dumpf. Er atmete hörbar ein, drehte das Gesicht aus dem Wind und sah sie nun doch an.
    Gowennas Lippen zuckten. In ihrem sehenden Auge blitzte es zornig auf. »Das ist er nicht, Skar«, sagte sie gepreßt. »Die Sumpfmänner werden ihn retten und —«
    Skar hob mit einer so abrupten Bewegung die Hand, daß Gowenna erschrocken abbrach und einen halben Schritt zurückwich. »Sie werden ihn wieder zum Leben erwecken, wie?« sagte er leise. »Sie werden ihn ... wie haben sie es genannt? Neu schaffen? Und was werden sie mir geben? Eine Puppe? Ein Ding, das aussieht wie Del, sich bewegt wie Del, redet wie Del und mir jeden Wunsch von den Lippen abliest, wie es deine drei Schattenmänner bei dir getan haben ?«
    »Dir geben?« wiederholte Gowenna erschrocken. »Sie werden dir nichts geben, Skar. Sie werden Del das Leben zurückgeben, das ist alles.«
    Skar erschrak für einen Moment vor seinen eigenen Worten. Er hatte — ohne es im ersten Moment selbst zu bemerken — den Gedanken ausgesprochen, den er seit Tagen sorgsam bekämpft und irgendwo in seinem Inneren vergraben hatte.
    »Vielleicht ist es gar nicht wirkliche Trauer, Skar«, fuhr Gowenna fort. »Vielleicht bist du nur zornig, weil Vela dir Del weggenommen hat.«
    »Unsinn«, sagte Skar verwirrt. »Ich — Ich bin nicht gekommen, um mich mit dir zu streiten«, unterbrach ihn Gowenna. Sie schüttelte den Kopf, versuchte zu lächeln undfuhr sich mit einer raschen, unbewußten Geste über das Gesicht; eine Bewegung, die sie sich in den letzten Tagen mehr und mehr angewöhnt hatte, beinahe als müsse sie sich immer wieder
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