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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Glas Orangensaft griff und einen kleinen Schluck nahm.
    »Ich danke Ihnen, Herr Professor«, sagte sie fast unhörbar. »Sie haben mein Vertrauen. Ich bin bereit, mich den notwendigen Untersuchungen zu unterziehen. Ich bleibe …«
    Professor v. Maggfeldt erhob sich, ging hinüber zu Gisela, setzte sich neben sie und klopfte ihr auf die im Schoß gefalteten Hände.
    »Ich bin glücklich«, sagte er, »ich bin sehr glücklich …«
    Dr. Pade war inzwischen hinter die Couch gerückt. Von nun an würde er alle Unterhaltungen mitstenographieren. Auf den Knien öffnete er die neue Untersuchungsmappe. Er legte zwei Bogen nebeneinander. Noch waren sie leer. Nur in der linken oberen Ecke war etwas aufgedruckt: Blatt I – Familien-Anamnese. Blatt II – eigene Anamnese: a) biologische Vorgeschichte, b) soziale Vorgeschichte, c) jetzige Erkrankung.
    Das Schicksal eines Menschen sollte aufgerollt werden wie eine alte Schriftrolle … langsam, vorsichtig, millimeterweise …
    Gisela Peltzner blickte den Professor lange nachdenklich an, als sei sie sich trotz seiner letzten Worte keineswegs klar über ihn.
    »Herr Professor«, sagte sie bestimmt und beinahe abweisend. »Ich möchte nicht, daß sogleich neue Mißverständnisse aufkommen. Ich suche weder Schutz noch Heilung, wenn ich mich auch bereit erklärt habe, Ihre Angebote in dieser Richtung anzunehmen. Was ich allein suche, ist mein Recht!«
    Mit leidenschaftlicher Bewegung fuhr sie fort: »Mein Vater hat mir die Werke vererbt! Mir allein! Mein Onkel und meine Tante dachten, ich sei ein dummes Schäfchen, das schöne Kleider liebt, schnelle Wagen, teure Pelze, Reisen, Bekanntschaften mit Männern! Es stimmt, ich hätte das alles haben können! Aber was habe ich getan? Ich habe die Bücher durchgesehen. Ich habe die Konten kontrolliert! Ich habe in drei Monaten alle Spesenabrechnungen durchrechnen lassen. Ich habe die Forschungskonten entschlüsselt … allein hier fehlten 200.000 Mark, die mein Onkel in den Spielbanken verspielt hatte!«
    Sie sprang auf und stellte sich vor Professor v. Maggfeldt. Ihr schmales Gesicht war vom Zorn gerötet. »Deshalb bin ich hier! Ich wurde unbequem! Ich sah plötzlich zuviel an Familienschmutz! Und heiraten wollte ich auch. Damit wäre das gesamte Vermögen der Familie entzogen worden. Darum bin ich hier … nur darum! Erst hat man meinen Vater umgebracht …«
    Der Professor und sein Oberarzt wechselten einen schnellen Blick. Maggfeldt dachte in diesem Augenblick an die 250.000 Mark für ein Waisenhaus. Es konnte in ein Bild passen: Unverständliche Impulshandlungen, wilde Entschlossenheit, Störungen objektiven Denkens. War es wirklich eine paranoische Erkrankung, so befand sich Gisela Peltzner wieder in einem der Schübe des Wahns, die von mehr oder weniger langen, fast symptomfreien Pausen unterbrochen werden.
    »Das ist ziemlich ernst, was Sie da behaupten!« stellte Maggfeldt ruhig fest. »Kommen Sie, setzen Sie sich, trinken Sie noch ein Glas Orangensaft. Sie müssen mir das genau erzählen …«
    »Gern …«
    Gisela sah von einem Arzt zum anderen. Plötzlich wurde ihr wieder bewußt, in einem Irrenhaus zu sein, in dem ein Mensch soviel reden konnte, wie er wollte, ohne daß man ihm glaubte. Es schnürte ihr die Kehle zu. Sie griff an den Hals, und ihre Augen waren starr. Angst stand in ihnen, helle Angst und Entsetzen.
    »Bringen Sie mich nach Hause«, stammelte sie. »Bitte, bitte … ich werde Ihnen alles zeigen … Ich werde Ihnen beweisen, daß an mir ein Verbrechen geschieht. Warum glauben Sie mir denn nicht? Mein Gott … was soll ich denn tun, damit Sie mir glauben?« Sie weinte auf einmal. Mitten im Zimmer stehend, groß, schlank, mit hängenden Armen und zerwühlten blonden Haaren, hilflos ausgeliefert, weinte sie wie ein kleines, verirrtes Kind.
    Oberarzt Dr. Pade machte sich eine Notiz. Spontane Depressionen, schrieb er, umrahmte die Worte und machte ein großes Fragezeichen dahinter. Professor v. Maggfeldt schüttelte den Kopf und winkte Gisela, sich an seine Seite zu setzen.
    »Kommen Sie … erzählen Sie mir alles der Reihe nach. Fangen wir ganz früh an, so früh, wie Sie sich erinnern können. Machen Sie sich Luft, erzählen Sie mir Ihr ganzes Leben. Erinnern Sie sich an die kleinste Kleinigkeit. Ob Sie sich mal in den Finger geschnitten haben oder mit dem Roller gefallen sind oder ein Autounglück gesehen haben. Wie alt können Sie gewesen sein, als Sie zum erstenmal etwas Unauslöschliches wahrnahmen?«
    Er
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