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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt
Autoren: Heinz G. Konsalik
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beugte sich vor, ergriff Giselas schlaffe Hand, zog sie zu sich auf die Couch, nahm sein Taschentuch aus dem Rock und tupfte ihr die Tränen von den Augen und aus dem zuckenden Gesicht.
    »Meine erste Erinnerung …?« Gisela Peltzner sah hinüber zum Fenster. »Ich muß vier Jahre alt gewesen sein … Mein Vater kam nach Hause, er war sehr wütend, warf seine Aktentasche auf den Tisch und schrie: ›Die Nazis verlangen, daß ich die Produktion auf Granatzünder umstelle! Eines Tages nimmt man uns die Fabrik noch ganz ab!‹«
    Dr. Pade nickte. Auf seinen Testbogen notierte er: Erster Kindheitseindruck: Erregung. Unrecht. Sorge.
    »Und weiter?« Maggfeldts Stimme war so beruhigend, daß der innere Druck sich in Giselas Körper löste und das Schluchzen allmählich aufhörte. »Sie müssen mir alles erzählen … wir haben so viel Zeit. Soll ich Ihnen noch etwas zu trinken holen lassen?«
    »Ja, bitte.« Sie blickte Dr. Pade nach, wie er mit einem Schlüssel die Tür aufschloß und hinausging. Ängstlich klammerte sie sich an den Professor. »Sie haben mich als Verrückte bezeichnet, nicht wahr? Mein Onkel und die anderen …«, rief sie in höchster Angst. »Ich bitte Sie, ich flehe Sie an … sorgen Sie dafür, daß diese Gemeinheit aufgeklärt wird. Sie wollen mir ja nur das Erbe wegnehmen! Bitte, bitte, helfen Sie mir!«
    Professor v. Maggfeldt legte den Arm um ihre zuckende Schulter und drückte sie an sich wie ein kleines Kind.
    »Sie müssen ganz ruhig sein«, sagte er mit seiner besänftigenden Stimme. »Ganz, ganz ruhig – ganz entspannt. Wir wollen Ihnen ja helfen … nur helfen. So, und nun erzählen Sie weiter … erinnern Sie sich … drehen Sie das Rad Ihres Lebens zurück …«
    Damals, vor einem Jahr …
    Eine fröhliche Jagdgesellschaft war in das Revier gezogen. Dr.-Ing. Bruno Peltzner, der alleinige Besitzer und kleine Gott der Peltzner-Werke, hatte ausländische Kunden, Diplomaten, Bankdirektoren und Wirtschaftler eingeladen, einige Böcke zur Strecke zu bringen.
    Zehn große Limousinen faßten die Gäste kaum. In einer Waldschneise warteten vier Geländewagen. Man stieg um, und durch verwachsene Talgründe, über Bäche, Schluchten, unbetretene Lichtungen wurden sie zu der einsamen Jagdhütte geschaukelt.
    Dort war schon der große Bratspieß aufgebaut. Der Förster begrüßte die Herren, die ersten Flaschen wanderten von Hand zu Hand und wurden zünftig an den Mund gesetzt. Noch war es zu früh, um sich auf die Plätze zu verteilen. Wenn die Abenddämmerung durch das Dickicht kroch, kamen die Böcke aus den Verfilzungen hervor. Bis dahin waren es noch gut zwei Stunden.
    Bruno Peltzner winkte seinem Bruder Ewald, dem Direktor seiner Stammwerke, zu und ging um die Hütte herum in den Wald. Er war ein mittelgroßer, kräftiger Mann mit den Schultern eines Athleten. Vor dreißig Jahren hatte er noch als Schmied hinter dem Amboß gestanden und das glühende Eisen geschlagen, daß die Funken stoben. In den Nächten aber saß er neben dem leise glimmenden Schmiedefeuer und zeichnete und rechnete. Eines Tages war es dann soweit. Er meldete ein Patent an. Eine amerikanische Firma kaufte es auf, für einen Preis, der so hoch war, daß sich Bruno Peltzner eine eigene kleine Fabrik kaufen konnte. Das Sprungbrett nach oben.
    Von da an war alles schnell gegangen. Neue Patente, Riesenaufträge, Neubauten, Zweigwerke, die Ehrendoktorwürde, der internationale Name … alles stürzte über ihn herein, und er verlor nicht den Überblick oder gar den Verstand, sondern wurde nüchterner und stiller, je mehr er an die Sonne rückte.
    Ewald Peltzner, sein Bruder, vom Bankfachmann als kaufmännischer Direktor in die brüderlichen Werke hinübergewechselt, folgte dem Wink Brunos, der sich langsam, nachdenklich von der Gesellschaft entfernte, ohne daß es auffiel. Etwa fünfzig Meter hinter der Hütte war ein Hochstand. Nicht zum Jagen, nur zur Beobachtung. Hier auf einem freien, gerodeten Platz hatte Bruno Peltzner seine winterliche Wildfütterung aufgebaut.
    Bruno Peltzner drehte sich um, als er den Hochstand erreicht hatte, und erwartete Ewald, der wegen seiner überschüssigen Pfunde ein wenig an Atemnot litt.
    »Ich hatte keine Gelegenheit, dich noch vor der Abfahrt allein zu sprechen«, sagte Bruno Peltzner. Er sprach knapp, abgehackt, seine Worte sausten mit der Wucht eines Schmiedehammers auf den Bruder nieder. »Zufällig kam mir der Werbe-Etat unter die Augen. Du hast 30.000 Mark für eine Werbung entnommen,
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