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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten
Autoren: B Akunin
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englischen Butler, die sind herrschaftlicher als ihre Lords. Besonders Mr. Smily, der bei Lord Banville diente. Aufgeblasen, hochnäsig – ich hatte das Vergnügen, ihn im vergangenen Monat in Nizza zu erleben.
    Also, die Beletage bestimmte ich für die Familie des Großfürsten. Die beiden Zimmer mit Fenstern zum Park und zum Zarenpalast waren dem Großfürsten Georgi vorbehalten – als Schlafzimmer und Kabinett. Auf den Balkon gehörten noch ein Sessel, ein Tischchen und ein Kästchen Zigarren; vor das Fenster mit Blick auf das Alexandra-Schloß würde ich ein Fernrohr aufstellen lassen, damit Seine Hoheit bequemer die Fenster seines gekrönten Neffen beobachten konnte. Großfürstin Xenia erhielt das helle Zimmer mit Blick auf den Fluß, das würde ihr gefallen. Das Zimmer daneben dachte ich ihrer Zofe Lisa zu. Für Großfürst Pawel eignete sich am besten das Mezzanin, er hielt gern Abstand zur übrigen Familie, und die separate Treppe würde ihm zupaß kommen, wenn er spät heimkehrte. Endlung mußte mit der Kammer nebenan vorliebnehmen, er war ja kein großes Tier. Ein Bett wurde hineingestellt, an die Wand kam ein Teppich, auf den Fußboden ein Bärenfell, dann sah man nicht mehr, daß es eine Kammer war. Der kleine Großfürst Michail würde sich in dem geräumigen Zimmer mit den Fenstern nach Osten wohl fühlen. Das richtige Kinderzimmer. Gleich daneben war ein sehr hübscher Raum für Mademoiselle Déclic. Ich ordnete an, ihr einen Strauß Glockenblumen ins Zimmer zu stellen, ihre Lieblingsblumen. Das letzte Zimmer in derBeletage würde als kleiner Salon für familiäre Mußestunden dienen, falls es in diesen verrückten Tagen überhaupt einen freien Abend gab.
    Im Parterre ließ ich die beiden geräumigsten Zimmer als Hauptsalon und Speisezimmer herrichten; zwei passable Zimmer reservierte ich für die Engländer, eins nahm ich mir (klein, aber an strategisch wichtiger Stelle gelegen, unter der Treppe), und die übrigen Zimmer mußten sich jeweils mehrere Bedienstete teilen. La guerre comme à la guerre, oder: eng, aber gemütlich.
    Im großen und ganzen ging es besser, als zu erwarten war.
    Nun mußte das Gepäck versorgt werden: Kleider, Uniformen und Anzüge, Tafelsilber, tausend kleine, aber unerläßliche Dinge, mit deren Hilfe selbst eine Scheune in eine behagliche Bleibe verwandelt werden kann.
    Während die Moskauer Diener Truhen und Körbe schleppten, sah ich mir jeden genau an, um mir darüber klar zu werden, was er taugte und an welchem Platz er mit dem größten Nutzen eingesetzt werden konnte. Das wichtigste Talent eines jeden Chefs sollte eben darin bestehen, die starken und die schwachen Seiten seiner Untergebenen zu erkennen, um erstere zu nutzen und letztere auszuschalten. Meine lange Erfahrung im Umgang mit Untergebenen hat mich gelehrt, daß es auf der Welt nur sehr wenige völlig unbegabte, unfähige Menschen gibt. Für jeden findet sich Verwendung. Wenn sich in unserem Klub jemand über die Unbrauchbarkeit eines Lakaien, Aufwärters oder Stubenmädchens beklagt, denke ich bei mir: Ach, mein Guter, du bist ein schlechter Haushofmeister. Bei mir arbeiten mit der Zeit alle Diener gut. Jeder muß seine Arbeit lieben – das ist das ganze Geheimnis. Der Koch muß gern kochen, das Stubenmädchengern Unordnung in Ordnung verwandeln, der Pferdeknecht muß Pferde, der Gärtner Pflanzen lieben.
    Die höchste Kunst eines Haushofmeisters besteht darin, sich in den Menschen auszukennen, herauszufinden, was sie lieben, denn, so merkwürdig das klingt, die meisten Menschen haben nicht die geringste Vorstellung von ihren eigenen Neigungen und Begabungen. Man muß mitunter Etliches ausprobieren, bis man das Richtige findet.
    Es geht ja nicht nur um die Arbeit, obwohl auch die natürlich wichtig ist. Wenn ein Mensch seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann, ist er glücklich und zufrieden, und wenn alle Bediensteten im Haus ausgeglichen, froh und freundlich sind, entsteht eine besondere Stimmung oder, wie man heute sagt,
Atmosphäre.
    Man muß seine Untergebenen ermuntern und belohnen, aber in Maßen, nicht einfach für die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten, sondern für besonderen Fleiß. Ohne gerechte Strafen kommt man auch nicht aus, doch man muß dem Untergebenen erklären, wofür er eine Strafe erhält, und sie darf unter keinen Umständen demütigend sein. Ich wiederhole: Wenn ein Untergebener seine Arbeit nicht bewältigt, ist der Dienstherr daran schuld. Ich habe im Fontanny-Palais
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