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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten
Autoren: B Akunin
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daß seitdem das Verhältnis zwischen Ihrer Hoheit und Ihrer Majestät etwas getrübt war, aber mit ihrem Fernbleiben wollte meine Herrin niemanden brüskieren, dafür verbürge ich mich. Wie immer Jekaterina Ioannowna Ihrer Majestät gesonnen sein mag, sie würde sich nie erlauben, ohne triftigen Grund ihre dynastischen Pflichten zu vernachlässigen. Ihre Söhne waren tatsächlich schwerkrank.
    Das war natürlich traurig, aber – wie der Volksmund sagt – jedes Übel hat auch sein Gutes, denn zusammen mit Ihrer Hoheit mußte auch ihr ganzer Hofstaat in der Residenzstadt bleiben, was mir die komplizierten Aufgaben, die aus der zeitweiligen Übersiedlung nach Moskau erwuchsen, wesentlich erleichterte. Die Hofdamen waren sehr betrübt, daß sie aufdie Moskauer Feierlichkeiten verzichten sollten, und äußerten ihren Unmut (natürlich im Rahmen der Etikette), doch Großfürstin Jekaterina blieb unbeugsam: Nach dem Zeremoniell muß der kleine Hofstaat sich dort aufhalten, wo sich die Mehrheit der großfürstlichen Familie befindet, und die Mehrheit unseres Zweiges des Herrscherhauses blieb in Petersburg.
    Zur Krönung fuhren vier: Großfürst Georgi, sein ältester und sein jüngster Sohn und die einzige Tochter Xenia Georgijewna.
    Wie ich schon sagte, war ich froh, daß die Herren Höflinge nicht mitgekommen waren. Der Oberhofmeister Fürst Metlizki und der Leiter der Hofkanzlei Geheimrat von Born hätten meine Arbeit nur behindert, indem sie ihre Nase in Dinge steckten, von denen sie nichts verstanden. Ein guter Haushofmeister bedarf keiner Aufpasser, um seinen Pflichten nachzukommen. Und was die Hofmeisterin und ihre Hofdamen betrifft, so hätte ich gar nicht gewußt, wo ich sie unterbringen sollte – eine so kümmerliche Residenz hatte das Krönungskomitee dem Grünen Hof (so wird unser Haus nach der Farbe der Schleppe unserer Großfürstin bezeichnet) zugewiesen. Aber auf die Residenz kommen wir noch zu sprechen.
     
    Die Fahrt von Petersburg nach Moskau verlief reibungslos. Der Zug bestand aus drei Waggons: Im ersten war die großfürstliche Familie untergebracht, im zweiten die Dienerschaft und im dritten der notwendige Hausrat und das Gepäck, so daß ich ständig von einem Waggon in den anderen wechseln mußte.
    Seine Hoheit Großfürst Georgi sprach sofort nach Abfahrtdes Zuges dem Cognac zu, zusammen mit seinem Sohn Pawel Georgijewitsch und dem Kammerjunker Endlung. Er geruhte elf Gläser zu trinken, wonach er müde wurde und dann bis Moskau schlummerte. Bevor er einschlief, schon in seiner »Kajüte«, wie er sein Abteil nannte, erzählte er mir noch von seiner Schiffsreise nach Schweden, die vor zweiundzwanzig Jahren stattgefunden und großen Eindruck auf Seine Hoheit gemacht hatte. Es ist nämlich so, daß Großfürst Georgi, obwohl General-Admiral, nur ein einziges Mal auf See war und die unangenehmsten Erinnerungen daran bewahrt; in diesem Zusammenhang erwähnt er häufig den französischen Minister Colbert, der nie ein Schiff betreten und dennoch sein Land zu einer großen Seemacht entwickelt hat. Die Geschichte von des Großfürsten Schwedenreise habe ich schon viele Male gehört und kann sie inzwischen auswendig. Das Gefährlichste ist die Beschreibung des Sturms vor der Küste Gotlands. Nach den Worten »Und da schrie der Kapitän: ›Alle Mann an die Lenzpumpen!‹« rollt Seine Hoheit jedesmal mit den Augen und haut krachend die Faust auf den Tisch. So geschah es auch diesmal, doch Tischdecke und Geschirr nahmen keinen Schaden, da ich rechtzeitig Maßnahmen ergriffen hatte: Ich hielt die Karaffe und das Glas fest.
    Als Seine Hoheit vor Ermattung nicht mehr in zusammenhängenden Sätzen sprechen konnte, gab ich dem Lakaien ein Zeichen, ihn zu entkleiden und zu Bett zu bringen, ich selbst ging zu Großfürst Pawel und Leutnant Endlung. Auf Grund ihrer Jugend und strotzenden Gesundheit hatte der Cognac sie weit weniger ermüdet, man kann sagen, überhaupt nicht, und es war angezeigt, ein Auge auf sie zu haben, zumal ich die Sitten des Herrn Kammerjunkers kannte.
    Ein Kreuz ist das mit diesem Endlung. Ich sollte nicht sosprechen, aber Großfürstin Jekaterina beging einen schwerwiegenden Fehler, als sie diesen Herrn zum Erzieher ihres ältesten Sohnes bestellte. Freilich ist der Leutnant eine raffinierte Bestie: klarer, argloser Blick, frisches Gesicht, akkurater Scheitel im goldschimmernden Haar, kindliche Apfelbäckchen – ein richtiger Engel. Den älteren Damen begegnet er respektvoll, macht
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