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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten
Autoren: B Akunin
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einen Kratzfuß, lauscht mit interessierter Miene ihren Erzählungen über Johann von Kronstadt 1 oder über eine Seuche bei Windhunden. Kein Wunder, daß er die Großfürstin Jekaterina betörte: Ein angenehmer und vor allem ernsthafter junger Mann, kein lockerer Seekadett oder Taugenichts von der Gardeequipage. Und so gab sie ihren ältesten Sohn für die erste große Seereise in seine Obhut. Ich sah mir diesen Mentor sehr genau an.
    Gleich im ersten Hafen, in Varna, putzte sich Endlung heraus wie ein Pfau – weißer Anzug, purpurrote Weste, sternchenübersäter Schlips, breiter Panamahut – und machte sich auf den Weg in ein Bordell, wohin er auch den Großfürsten Pawel mitschleppte, der damals fast noch ein Kind war. Ich versuchte mich einzumischen, da sagte der Leutnant zu mir: »Ich habe Jekaterina Ioannowna versprochen, Seine Hoheit nicht aus den Augen zu lassen. Wo ich bin, soll auch er sein.« Darauf ich zu ihm: »Nein, Herr Leutnant,
Ihre
Hoheit sagte: Wo
er
ist, da sollen auch Sie sein.« Endlung antwortete: »Afanassi Stepanowitsch, das ist Haarspalterei. Hauptsache, wir sind unzertrennlich wie die Ajaxe.« Und er schleppte den jungen Fähnrich in alle Spelunken. Aber von Gibraltar bis Kronstadt waren beide, Leutnant und Fähnrich, ganz kleinlaut und gingen nicht mal mehr an Land, liefen nur viermal am Tagzum Doktor und ließen sich Spritzen geben. Solch ein Erzieher ist das. Seine Hoheit hat sich unter seinem Einfluß zusehends verändert, ist kaum wiederzuerkennen. Ich machte seinem Vater, dem Großfürsten Georgi, Andeutungen, aber er winkte ab: »Ach was, meinem Pollie tut eine solche Schule nur gut, dieser Endlung ist zwar ein Schlawiner, aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck und ist ein guter Gefährte, er wird keinen großen Schaden anrichten.« Mir fällt dazu nur die Volksweisheit ein: Man hat den Bock zum Gärtner gemacht. Ich durchschaue diesen Endlung. Das Herz auf dem rechten Fleck, daß ich nicht lache. Dank seiner Freundschaft mit dem jungen Großfürsten darf er das Monogramm auf der Achselklappe tragen und ist nun auch noch zum Kammerjunker ernannt worden. Das ist doch unglaublich – eine so ehrenhafte Hofcharge für den kleinen Leutnant!
    Die beiden jungen Männer waren unterdessen auf die Idee gekommen, Bézigue zu spielen; der Gewinner konnte sich von dem Verlierer etwas wünschen. Als ich ins Abteil schaute, sagte Großfürst Pawel: »Setz dich, Afanassi. Mach ein Spielchen mit uns. Wenn du verlierst, mußt du dir deinen kostbaren Backenbart abschnippeln.«
    Ich lehnte dankend ab, berief mich auf unaufschiebbare Arbeiten, obwohl ich eigentlich nichts Besonderes zu tun hatte. Es fehlte gerade noch, daß ich mit Seiner Hoheit Karten spiele. Großfürst Pawel wußte selbst sehr gut, daß ich nicht darauf eingehen würde, er hatte nur gescherzt. Seit ein paar Monaten hatte er die deprimierende Angewohnheit, sich über mich lustig zu machen. Das war Endlungs Einfluß. Dieser hat zwar vor einiger Zeit aufgehört, mich zu verspotten, aber Pawel Georgijewitsch kann es nicht lassen. Macht nichts, Seine Hoheit darf das, ihm nehme ich es nicht übel.
    Auch jetzt sagte er mit strenger Miene: »Weißt du, Afanassi, die phänomenale Vegetation in deinem Gesicht ruft bei einigen einflußreichen Personen Neid hervor. Vorgestern zum Beispiel, auf dem Ball, als du so gewichtig an der Tür standest, mit vergoldetem Stab und ausladendem Backenbart, haben alle Damen nur dich angesehen, keine würdigte meinen Cousin Nicky eines Blicks, obwohl er der Imperator ist. Der Bart muß runter oder wenigstens gestutzt werden.«
    In Wirklichkeit stellt meine »phänomenale Vegetation« nichts Besonderes dar: Schnauzer und Backenbart, der vielleicht üppig ist, aber keineswegs unschicklich. Solch einen Bart haben schon mein Vater und mein Großvater getragen, so daß ich nicht die Absicht habe, ihn abzurasieren oder zu stutzen.
    »Laß gut sein, Pollie«, trat Endlung für mich ein. »Quäl Afanassi Stepanowitsch nicht. Spiel lieber aus, du bist dran.«
    Hier muß ich wohl doch meine Beziehung zu dem Leutnant erklären. Sie hat ihre Geschichte.
    Am ersten Tag auf See, kaum daß unsere Korvette »Mstislaw« aus Sewastopol ausgelaufen waren, hatte mich Endlung auf Deck abgepaßt, mir die Hand auf die Schulter gelegt, mich mit frechen Augen angeblickt, die nach der schnapsseligen Abschiedsfeier ganz durchsichtig waren, und gesagt: »Na, Afonja, alte Lakaienseele, läßt du deine Besen flattern? Die hat’s ganz
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