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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten
Autoren: B Akunin
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zweiKutscher für die englische und die russische Equipage. Kaffee und Tee würde ich selbst reichen – das hatte Tradition. Auf die Gefahr hin, unbescheiden zu wirken, sage ich, daß am Hofe niemand besser als ich dieses Amt versah, das nicht nur große Übung, sondern auch Talent erfordert. Nicht umsonst war ich fünf Jahre Kaffeeschenk bei dem vorigen Zaren und seiner nunmehr verwitweten Gattin gewesen.
    Selbstverständlich wußte ich, daß ich mit acht Bediensteten nicht auskommen würde, und hatte in einem Telegramm die Moskauer Abteilung der Hofverwaltung gebeten, mir einen verständigen Gehilfen aus der hiesigen Dienerschaft zur Verfügung zu stellen, ebenso zwei Vorreiter, einen Koch fürs Gesinde, einen Lakaien zur Aufwartung der Kammerdiener, zwei Lakaien fürs Aufräumen, ein Stubenmädchen für Mademoiselle Déclic und zwei Türhüter. Mehr erbat ich nicht, denn ich konnte mir denken, daß es in Moskau in Anbetracht der Anreise so vieler hochgestellter Personen an erfahrener Dienerschaft mangelte. Natürlich machte ich mir keinerlei Illusionen über die Moskauer Diener. Moskau ist eine Stadt der verödenden Paläste und verfallenden Villen, und es gibt nichts Schlimmeres, als Dienerschaft zu halten, die nichts zu tun hat. Das verdummt und verdirbt die Leute. Wir haben drei große Häuser, in denen wir abwechselnd wohnen (abgesehen vom Frühling, den wir im Ausland verbringen, denn Großfürstin Jekaterina findet die Zeit der Großen Fasten in Rußland unerträglich langweilig): Im Winter wohnt die Familie in ihrem Petersburger Palais, im Sommer in ihrer Villa in Zarskoje Selo, im Herbst auf Kap Mis-chor. Jedes der Häuser hat seinen Stamm an Bediensteten, und Faulenzerei dulde ich nicht. Bevor ich abreise, hinterlasse ich jedesmal eine lange Liste mit Aufträgen, und ich nehme mir unbedingtdie Zeit zu gelegentlichen Kontrollbesuchen, komme stets unverhofft. Diener sind wie Soldaten. Man muß sie ständig beschäftigen, sonst fangen sie an zu trinken, Karten zu spielen und Unfug zu treiben.
    Mein Moskauer Gehilfe empfing uns auf dem Bahnhof, und während der Fahrt in der Kutsche erfuhr ich einiges von den Problemen, die mich erwarteten. Erstens mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß die Hofverwaltung meinem Ersuchen, das doch gemäßigt und vernünftig war, nicht vollständig entsprochen hatte: Ich bekam nur einen Lakaien fürs Aufräumen, keinen Koch für die Dienerschaft, sondern nur eine Kochfrau, und auch kein Stubenmädchen für die Gouvernante. Dies war mir besonders unangenehm, denn die Position einer Gouvernante ist von Natur aus zwiespältig, an der Grenze zwischen Bediensteten- und Höflingsstatus. Da ist enormes Fingerspitzengefühl vonnöten, damit man nicht einen Menschen kränkt, der ohnehin ständig eine Beeinträchtigung seiner Würde fürchtet.
    »Das ist noch nicht alles, Herr Sjukin«, sagte der Moskauer Gehilfe, als er meine Unzufriedenheit bemerkte. »Am betrüblichsten ist, daß Ihnen nicht wie versprochen das Kleine Nikolaus-Palais im Kreml zugewiesen wurde, sondern die Eremitage.«
    Der Gehilfe hieß Kornej Selifanowitsch Somow, und auf den ersten Blick gefiel er mir nicht: häßlich abstehende Ohren, dürr, vorspringender Adamsapfel. Es war gleich zu sehen, daß der Mann am Endpunkt seiner Karriere angelangt war und nicht mehr weiter kommen würde.
    »Was für eine Eremitage?« fragte ich verdrossen.
    »Ein schönes Haus, mit herrlichem Blick auf den Moskwa-Fluß und die Stadt. Es steht im Neskutschny-Park, nicht weitvom Alexandra-Schloß, in dem sich vor der Krönung das kaiserliche Paar aufhalten wird, aber …« Somow breitete die langen Arme aus. »Das Haus ist morsch, eng, und es spukt darin.« Er kicherte kurz, doch als er sah, daß ich nicht zu Scherzen aufgelegt war, erklärte er: »Es wurde Mitte des vorigen Jahrhunderts gebaut und gehörte einst der berühmten Gräfin Tschesmenskaja, die ebenso reich wie närrisch war. Sie haben sicherlich von ihr gehört, Herr Sjukin. Einige sagen, sie sei das Vorbild für Puschkins Pique Dame gewesen, nicht die alte Fürstin Golizyna.«
    Ich mag es nicht, wenn Diener sich mit ihrer Belesenheit großtun, und sagte nichts darauf, nickte nur.
    Somow schien den Grund meiner Verstimmung nicht zu begreifen und fuhr noch schwülstiger fort: »Der Überlieferung zufolge hat in der Regierungszeit Alexanders des Ersten, als die ganze Gesellschaft vom neumodischen Lottospiel besessen war, die Gräfin dem Bösen ihre Seele verpfändet. Diener
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