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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Michael Kibler
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wunderschöne Herbst versöhnte sie ein wenig mit dem missratenen Sommer. Obwohl es spürbar kälter geworden war. Das Wetter würde bald umschlagen.
    »Frau Kommissarin Hesgart?«
    Margot blinzelte. »Frau Gölzenlamper. Schön, dass Sie hier sind.«
    »Danke, dass Sie mir zuhören. Gehen wir ein wenig spazieren?«
    »Gern.«
    »Diese Figur ist so schön. Der Engel, so – melancholisch. Und doch von einer majestätischen Schönheit, die Hoffnung verspricht.«
    »Besser hätte ich es nicht sagen können. Wieso sprechen Sie so gut Deutsch?«
    Irina Gölzenlamper lachte. »Lernen, lernen, lernen. Etwas fernsehen. Aber auch: lesen, lesen, lesen.«
    Margot wandte sich schon zum Weg, als Irina Gölzenlamper sagte: »Ich habe mich mit meiner Schwester getroffen. Am Sonntag bevor sie nach Leer gefahren ist. Sie kam zu mir.«
    »Hat sie mit Ihnen über den Mord gesprochen?«
    Irina Gölzenlamper schwieg kurz. Dann sagte sie: »Lassen Sie uns ein Stück gehen.«
    Margot ging eine Minute schweigend neben der Frau her. Dann begann diese zu sprechen. »Sie haben hier in Hessen doch diese Brüder Grimm. Wie haben die immer gesagt? ›Es war einmal …‹«
    »Ja. So fangen Märchen meistens an.«
    »Dann lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen. Von einer Frau. Sie trägt den Namen Rasotscharowanie – nennen wir sie einfach Rasa.«
    »Ein seltsamer Name.«
    »Es ist eine seltsame Geschichte. Rasa hat einen Mann und zwei Kinder. Sie ist stolz auf ihren Mann. Er ist ein guter Mann. Er hat Kraft. Er hat eine breite Schulter. Aber er kann auch denken. Und er kann gut reden. Er hat Humor und ein gutes Herz. Er liebt seine Frau, und er will für seine Familie sorgen. Er trinkt nicht. Er will sicher sein, dass seine Frau es gut hat. Und er will Kinder, viele Kinder.
    Er geht zum Militär. Es ist nicht sein Wunsch. Aber er hat keine andere Arbeit gefunden. Und das Militär – das ist ein sicherer Beruf. Er ist in der Stadt stationiert, in der die Familie lebt.
    Rasa ist glücklich. Und Rasa ist stolz. Dann bekommen sie ein Kind. Georgji, so heißt der Junge. Dann ein Mädchen. Sie nennen es Lina. Sie heißen wie mein Neffe und meine Nichte. Das ist schon ein Zufall.«
    Margot unterbrach Irina nicht. Aber sie begann zu verstehen.
    »Doch das Schicksal hält auch für diese Familie Schläge bereit. Rasas Mann, er muss in den Krieg. Es ist ein böser Krieg. Ein grausamer Krieg. Er kommt zurück, aber er ist völlig verändert. Rasa weiß nicht, was mit ihm passiert ist. Er hat aufgehört zu reden. Er schweigt, trinkt, und er wird aggressiv. Was immer er im Krieg erlebt hat, es hat seine Seele zerstört. Es wird so schlimm, dass er seine Arbeit beim Militär verliert. Jetzt hat Rasas Familie nicht nur persönliche Probleme. Jetzt hat sie auch finanzielle Probleme.
    Rasa kämpft. Sie arbeitet den ganzen Tag. In einem Hotel. Es ist keine gute Arbeit. Aber sie verdient Geld. Nur nicht genug. Sie bemüht sich, noch auf andere Art Geld zu verdienen. Sie lässt Fotos von sich machen. Erst schöne Fotos. Aber Geld verdienen kann man nur, wenn man sich vor einer Filmkamera auszieht. Und nicht nur das.
    Das will sie nicht. Denn sie hat noch ihren Stolz. Immer noch geht es um ihre Familie. Und sie ist sicher, eines Tages wird auch ihr Mann wieder gesund.
    Sie hört von einer Freundin, dass es eine Klinik gibt in ihrer Stadt, die Frauen sucht. Frauen, die Eizellen spenden. Und Frauen, die Kinder von anderen Eltern kriegen – Leihmütter. Einmal spendet sie Eizellen. Dann fragt die Klinik sie, ob sie bereit wäre, ein Kind auszutragen für ein deutsches Ehepaar, das keine Kinder bekommen kann.«
    An dieser Stelle hielt Irina inne. Sie sah über das Oberfeld. »Es ist wirklich schön hier. Meine Schwester war ein paar Tage in Ihrer Stadt. Und den Ort mit dem Engel, den hat sie geliebt. Und auch diesen Garten mit den Rosen.«
    Margot wusste nicht, was sie erwidern sollte.
    Irina sprach auch gleich weiter. »Nun, in der Geschichte nimmt Rasa das Angebot an. 7000 Euro soll sie bekommen. Das ist so viel, wie sie in ihrem anderen Job in zwei Jahren verdient.
    Sie bekommt eine Anzahlung. Sie wird schwanger. Sie bekommt wieder Geld. Kann etwas zur Seite legen. Auch ihr Mann ist einverstanden, dass sie das Kind bekommt. Er hat immer wieder Momente, in denen er sein Leben wieder in den Griff bekommen will. Und das Geld – das können sie gut brauchen. Für die Schule von den beiden eigenen Kindern.
    Und dann kommt die Untersuchung im vierten Monat.
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