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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg
Autoren: Reinaldo Arenas
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Männer – nachzustellen; Cecilia pinselt ihre schwarze Urgroßmutter mit weißer Farbe an, um ihre Herkunft als Mulattin zu übertünchen und vor ihrem Liebhaber zu verbergen; Dionisios verkleidet sich, um seinem Herrn im Auftrag seiner Herrin hinterherzuspionieren: Reinaldo Arenas investiert viel in das Transvestieren ebenso auf der Inhalts- wie auf der Ausdrucksebene. Die Präsenz der Travestie als Thema wie als Gattung verweist auch auf andere Schriften des kubanischen Autors, die – wie etwa Reise nach Havanna  – parallel zu Engelsberg entstanden.
    Der in diesen Texten zum Ausdruck kommende unbändige Humor sollte uns nicht täuschen: Wahrhafte und wahrhaftige Kunst entsteht für Arenas erst aus dem Zusammenwirken von Genie und Wut. Mit Villaverde teilt er die Wut auf einen Despotismus, der zu einem Leben im Exil zwingt. Doch diese politisch und existenziell begründete Verzweiflung reicht alleine nicht aus. Denn das große Kunstwerk muss eine Form finden, um das Publikum kraft des in ihm spürbaren furor in seinen Bann zu schlagen.
    Aus ebendiesem Grund gerät die Identifikation des als Roman- und als Erzählerfigur auftauchenden »Arenas« (den wir nicht mit dem realen Autor verwechseln dürfen) mit Francisco de Goya zur eigenen poetologischen Standortbestimmung. Denn der spanische Maler ist Vorbild und Modell zugleich: Goyas aus dem Jahre 1814 stammenden Bildnissen des spanischen Königs Fernando VII., der – soweit wir wissen – nie bei ihm ein Porträt in Auftrag gegeben hatte, bleibt bis heute jene fuira eingeschrieben, die der Künstler diesem Despoten gegenüber empfand. Die Wut des Genies – so lässt Arenas seinen Erzähler vermelden – verleiht dem Kunstwerk ein unvergängliches, unzerstörbares Leben. Engelsberg ist gewiss Literatur über Literatur und propagiert eine Kunst, die der Kunst abgetrotzt ist. Diese Form aber ermöglicht es Arenas, umso vehementer auf das Leben Bezug zu nehmen.
Eine Literatur, die dem Leben abgetrotzt ist
    1970 hat Reinaldo Arenas in einer Besprechung, die in La Gaceta de Cuba erschien und zu den letzten Texten zählt, die zu seinen Lebzeiten in Kuba veröffentlicht wurden, zwischen zwei Typen von Literatur unterschieden: einer, die ihre Gegenstände der Literatur entnimmt, und einer anderen, die auf das Leben zurückgreift. Ein Kunstwerk müsse unter dem Einfluss einer Leidenschaft, einer pasión , entstehen – und diese müsse notwendig »aus dem Leben« kommen. Warum aber wäre dann Engelsberg als Zeugnis einer Literatur, die aus der Literatur schöpft, mehr wert als jene literarischen »Kabinettstückchen«, als die Arenas die Romane seines Schriftstellerkollegen Alejo Carpentier abtat?
    In Villaverdes historischem Roman stoßen wir auf viele geschichtliche Gestalten. Sie finden sich auch in Arenas’ »Version« von Cecilia Valdés wieder: vom spanischen Generalkapitän der Insel bis hin zu den Schriftstellern Francisco Manzano, Plácido oder Cirilo Villaverde selbst. Letzterer wird nicht nur von den Figuren seines Romans zur Rede gestellt, sondern auch in seinem durchsichtigen Versuch demaskiert, Schulkindern in entlegenen Gebieten der Insel nur deshalb das Lesen beizubringen, damit sie seinen Roman lesen können. Man darf darin getrost eine Verhohnepipelung der kubanischen Alphabetisierungskampagne der frühen sechziger Jahre sehen, der politisch interessierte Kreise im Exil schon früh vorwarfen, sie verfolge nur das Ziel, die Propaganda der Revolutionäre geschickter und nachhaltiger unters Volk zu bringen.
    Es überrascht nicht, dass Engelsberg die Präsenz »realer« Figuren weit ins 20. Jahrhundert hinein verlängert: von der einflussreichen spanischen Literaturagentin Carmen Balcells über den kubanischen Kunstkritiker Florencio García Cisneros und die Anthropologin Lydia Cabrera bis hin zu Schriftstellern wie José Lezama Lima, Roberto Valero oder Reinaldo Arenas selbst. Dass Letzterer sich dem offen oder versteckt geäußerten Hohn und Spott mancher seiner Erzählerfiguren stellen muss, versteht sich von selbst: Arenas machte sich stets mit großer Freude über sich selbst lustig.
    Die Beziehungen und Spiegelungen zwischen Arenas und Goya, aber auch viele andere wie die zwischen dem ehemaligen Sklaven Manzano und dem »Dichtersklaven« Lezama, für dessen Tod Arenas – wie schon in seiner Autobiografie – die Staatsgewalt verantwortlich macht, zeigen unübersehbar auf, dass hinter Villaverdes 19. Jahrhundert stets Arenas’ 20.
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