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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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saß. »Ihr seid am Zug, Vater,
für den Fall, dass dem Gesagten noch etwas hinzuzufügen wäre.«
    »Nein, mein Sohn. Meine Hochachtung, Hilpert,
du hast dir den Ruf, der dir vorauseilt, redlich verdient. Und was hast du jetzt
mit mir vor?«
    »Nichts, Vater.«
    »Nichts?«, entfuhr es dem Lektor, den es trotz
Müdigkeit und seiner steifen Glieder nicht mehr auf seinem Platz im Chorgestühl
hielt. »Das ist doch wohl nicht dein … ausgerechnet du, der Papst unter den Inquisitoren,
lässt mich laufen? Ist das dein Ernst oder erlaubst du dir einen Scherz mit mir?«
    »Glaubt mir, Vater, nach Scherzen ist mir nicht
zumute«, versetzte Bruder Hilpert und rieb sich die müden Augen. Seine Kräfte waren
am Schwinden und das Bedürfnis nach einem bequemen Strohlager drohte übermächtig
zu werden. »So gut müsstet Ihr mich eigentlich kennen, oder?«
    »Aber …«
    »Kein Aber, Vater. Euer und Melusines Ziel war,
die Unschuld der alten Irmtrud zu beweisen.«
    »Recte. [91] Und Tuchscherer des Gattenmordes und der Vergewaltigung
zu überführen.«
    »Was, wie wir beide wissen, nur zum Teil gelungen
ist. Den Mord an der Badersgattin natürlich nicht zu vergessen.«
    »Chlotilde Wernitzer, eine Doppelmörderin –
ich kann es einfach nicht begreifen.«
    »Errare humanum est [92] , Vater«, warf Bruder Hilpert schmunzelnd ein. Und frotzelte:
»Wie gut, dass Ihr mir den Kasus übertragen habt.«
    Der Lektor antwortete mit einem müden Lächeln.
»Darf ich dich etwas fragen, Hilpert?«, begann er, hakte sich beim Bibliothekarius
unter und schlug den Weg zur Lettnerpforte ein.
    »Selbstverständlich, Vater.«
    »Ab wann hattest du mich
eigentlich unter Verdacht?«
    »Von Anfang an.«
    An der Pforte angelangt, blieb der Kustos wie
versteinert stehen. »Und wieso?«
    »Wollt Ihr das wirklich wissen, Vater?«
    »Raus damit, Hilpert – ich bin ganz Ohr.«
    Nach außen hin die Ernsthaftigkeit in Person,
konnte der Bibliothekarius ein Lachen nur mit Mühe unterdrücken. »Ganz einfach.
Ich habe mich an einen meiner ehernen Grundsätze gehalten.«
    »Der da lautet?«
    »Trau keinem Franziskaner!«, verkündete Bruder
Hilpert mit todernster Miene, worauf sich die Anspannung im Gesicht seines väterlichen
Freundes legte und der Greis in schallendes Gelächter ausbrach. »Schon gar nicht,
wenn er so alt ist wie Ihr!«
     
    *
     
    Ein neuer Tag. Das blassrot schimmernde Licht der Morgenröte, das durch
die Fenster im Ostchor flutete, in jeden Winkel drang, das Dunkel vertrieb, neue
Hoffnung, Wärme und Zuversicht verbreitete. Für Bruder Hilpert, selbst nach so vielen
Jahren, in denen er dieses Schauspiels teilhaftig geworden war, immer wieder etwas
Staunenswertes und somit ein Grund, dem Herrn für seine Güte zu danken.
    Grund genug aber auch,
dies am heutigen Freitag besonders inbrünstig zu tun. Wieder einmal war das Böse
in die Schranken gewiesen, der und die Schuldige überführt, ein anfangs unlösbar
scheinender Fall aufgeklärt worden. Mit Gottes und der Heiligen Jungfrau Hilfe,
denen Hilpert, endlich wieder in seinem angestammten Habit, dafür nicht genug danken
konnte.
    Wieder einmal war er aber
auch Zeuge geworden, zu welchen Schandtaten und Verfehlungen die Spezies Mensch
fähig war. Wollust, Hochmut, Habgier, Rachsucht, Neid, Ignoranz und Maßlosigkeit
– kein Makel und keine noch so schwere Sünde, mit denen er im Verlauf der letzten
zwölf Stunden nicht konfrontiert worden wäre oder mit denen er nicht zum wiederholten
Male zu kämpfen gehabt hätte. Fünf Fälle, und das in nur zwei Jahren. Bruder Hilpert
stieß einen leisen Stoßseufzer aus und betrachtete die Steinskulptur, unter der
er gerade Andacht hielt. »Hab Dank, Königin des Himmels«, murmelte er, die Augen,
die er kaum noch offen halten konnte, auf die gekrönte Muttergottes unter dem Baldachin
und das Jesukind mit den zwei Blumen geheftet. Wie so häufig hatte die mit Mantel,
Schleier und Krone bekleidete Patrona seines Ordens seine Geschicke gelenkt und
er hoffte, dass dies auch in Zukunft so bleiben würde.
    Was diese bringen würde,
stand allerdings in den Sternen. Als Erstes würde er ein paar Bissen zu sich nehmen,
das Hospiz aufsuchen und den versäumten Schlaf nachholen. Wie hieß es doch in der
Heiligen Schrift: ›Legest du dich, so wirst du nicht fürchten, sondern süß schlafen.‹ [93] Und dann würde er sich nach dem Befinden von
Irmingardis erkundigen, die, wie er hoffte, sämtliche Schwierigkeiten meistern und
möglichst bald wieder auf die
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