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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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richteten, in seinem
Alter, also Mitte dreißig. Beim Anblick des bläulich roten Striemens an seinem Hals
erübrigte sich jeglicher Kommentar, und der hagere Bibliothekarius fragte sich im
Stillen, was der dunkelhaarige, kräftige und mittelgroße Mann, von dem die Leichenstarre
komplett Besitz ergriffen hatte, auf dem Kerbholz gehabt haben mochte.
    Da diese Frage eine akademische war, schob der
Zisterziensermönch sie beiseite und konzentrierte sich auf die Erläuterungen des
Professors, der wie Gottvater über den Häuptern seiner Eleven thronte und abwartete,
bis der Prosektor seine Instrumente ausgepackt, das Skalpell zur Hand genommen und
den Körper des Unbekannten vom Brustbein bis zum Becken aufgetrennt hatte. Manch
einer der Umstehenden wich beim Anblick der wie Magma aus dem Abdomen [6] hervorquellenden
Darmschlingen entsetzt zurück. So auch Bruder Hilpert, der sich der Ablenkung halber
auf die Gesichter der Umstehenden und den knapp 50 Jahre alten und mit einer nicht
gerade wohlfeilen Robe mit weiten Ärmeln bekleideten Professor konzentrierte. Dieser
wiederum, sich seiner Würde durchaus bewusst, machte es spannend, schien das makabere
Spektakel förmlich zu genießen. »Wie ihr, Discipuli [7] , erkennen könnt«, ließ er sich schließlich herab, das
Wort an die Mitglieder der Medizinischen Fakultät zu richten, etliche gerade einmal
halb so alt wie der Bibliothekarius, »hat mein wackerer Famulus bei seinem Schnitt
das Omentum [8] durchtrennt
und die Gedärme freigelegt, welche ihr vor euch auf dem Seziertisch liegen seht.
Würde vielleicht jemand die Güte besitzen und sie in den Eimer dort drüben … sei
bedankt, Laurentius Mittermeier, für deine Hilfe.« Der Angesprochene, offenbar einer
der unteren Semester, kam der Bitte des Professors eilfertig nach, musste jedoch
seine ganze Selbstüberwindung aufbieten, um die übel riechenden, triefenden und
glitschigen Schlingen einzusammeln und in das bereitstehende Behältnis zu stopfen.
    Bruder Hilpert wandte sich schaudernd ab. Ganz
anders der offenbar grenzenlos von sich überzeugte Professor, der nach einem amüsierten
Räuspern mit seinen Erläuterungen fortfuhr. »Wie jedermann weiß«, dozierte er mit
majestätischem Blick auf sein Publikum, welches ihn wie eine verschüchterte Schafherde
umlagerte, »kann man nur dann einen ungehinderten Blick auf die inneren Organe unserer
Spezies werfen, wenn zuvor der Dünndarm entfernt worden ist. Eine Aufgabe, der Ihr
Euch, Famulus, nunmehr widmen werdet. Nicht gerade einfach, wenn man bedenkt, dass
es beileibe nichts Ungewöhnliches ist, wenn der Dünndarm eine Länge von über elf
Ellen [9] erreicht. Eine Distanz,
welche annähernd der Breite dieses Raumes entspricht. Im Anschluss daran gilt es,
mithilfe des Requisits, zu dem mein furchtloser Helfer in diesem Moment greift,
die Knochen des Brustkorbs zuerst zu brechen und im Anschluss daran zu entfernen.
Nur so, erlauchte Magnifizenzen, wird es uns möglich sein, einen Blick auf das Innere
des Thorax [10] zu werfen
und die Organe, welche Gegenstand meiner heutigen Ausführungen sind, genauer in
Augenschein zu nehmen. Einstweilen irgendwelche Fragen?« Der Professor machte eine
kurze Pause, zupfte die Robe zurecht und blickte seine Schüler, von denen etliche
der Ohnmacht nahe waren, der Reihe nach an. Wie nicht anders zu erwarten, wagte
niemand, das Wort zu ergreifen, und so setzte er seine Ausführungen fort. »Nein?
Wenn dem so ist, möchte ich mit meinem Diskurs fortfahren. Im Folgenden, Discipuli,
werden wir uns näher mit den Organen befassen, welche dank der fachkundigen Handgriffe
des Prosektors nunmehr besser zu erkennen sind. Ad rem! [11] Wie so häufig, geschätzte Studiosi, ist es das bleibende
Verdienst des Hippokrates, Licht ins Dunkel heidnischer Vorstellungen und Mutmaßungen
gebracht zu haben, war er doch der Erste, dem es gelang, Sinn und Zweck der wichtigsten
Organe auf – wie ich meine – bislang unübertroffene Art und Weise zu erläutern.
Beginnen wir mit dem Herzen, auf das unser ehrenwerter Prosektor gerade mit seinem
Zeigestock deutet. Das Herz, von alters her Sitz menschlicher Leidenschaften, ist
durch unauflösbare Bande mit dem Blut verknüpft, desgleichen die gelbe Galle mit
der Leber, die schwarze mit der Milz und der Schleim mit dem Gehirn. Dementsprechend
weist der menschliche Corpus vier verschiedene Säfte auf, welche ihrerseits mit
den vier Elementen – also Luft, Feuer, Erde und Wasser – in Beziehung gesetzt
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