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Engel aus Eis

Titel: Engel aus Eis
Autoren: Camilla L�ckberg
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aber offenbar hatte sie das Bedürfnis, all die Gedanken zu Papier zu bringen, die ihr ganz normales und trotzdem so seltsames Leben mit sich brachte. Ein Teil von ihr erinnerte sich kaum noch an die Zeit vor dem Krieg. Sie wurde bald vierzehn Jahre alt und war bei Ausbruch des Krieges erst neun gewesen. In den ersten Jahren hatten sie nicht viel davon mitbekommen. Was auffiel, war die Wachsamkeit der Erwachsenen. Der Eifer, mit dem sie die Nachrichten verfolgten. Die Haltung, mit der sie vor dem Radioapparat im Wohnzimmer saßen, angespannt, ängstlich und doch seltsam erregt. Was da in der Welt passierte, war ja trotz allem spannend – bedrohlich, aber aufregend. Ansonsten hatte sich der Alltag kaum verändert. Die Schiffe fuhren hinaus und kehrten zurück. Manchmal war der Fang gut, manchmal schlecht. An Land hatten die Frauen ihr Tun, genau wie ihre Mütter und deren Mütter vor ihnen. Kinder wurden geboren, Wäsche musste gewaschen und Häuser mussten in Ordnung gehalten werden. Nun drohte der Krieg, diesen endlosen Kreislauf zu unterbrechen und ihre Welt durcheinanderzubringen. Diese Spannung hatte sie schon als Kind gespürt. Und jetzt war der Krieg fast hier angekommen.
    »Elsy?« Von unten hörte sie die Stimme ihrer Mutter. Schnell klappte Elsy das Tagebuch wieder zu und legte es in die oberste Schublade ihres kleinen Schreibtisches am Fenster. Viele Stunden hatte sie hier mit ihren Hausaufgaben verbracht, aber nun war ihre Schulzeit vorbei. Eigentlich brauchte sie den Schreibtisch nicht mehr. Sie strich ihr Kleid glatt und ging hinunter zu ihrer Mutter.
    »Geh bitte Wasser holen.« Die Mutter sah müde und fahl aus. Sie hatten den Sommer über in dem kleinen Raum im Keller gehaust und die oberen Stockwerke an Urlauber vermietet. Reinigung und Vollpension waren in der Miete inbegriffen, und die Sommergäste waren ziemlich anspruchsvoll gewesen. Ein Rechtsanwalt aus Göteborg nebst Gattin und drei ungezogenen Kindern. Elsys Mutter Hilma war von früh bis spät auf den Beinen, um ihre Kleidung zu waschen, ihren Proviant für die Bootsfahrten zu packen und hinter ihnen aufzuräumen, und musste sich ja gleichzeitig auch um ihren eigenen Haushalt kümmern.
    »Setz dich einen Augenblick, Mutter.« Sanft legte Elsy ihrer Mutter die Hand auf die Schulter. Ihre Mutter zuckte zurück. Es war nicht üblich, dass sie sich berührten. Nach kurzem Zögern tätschelte sie jedoch die Hand ihrer Tochter und ließ sich dankbar auf einen Stuhl drücken.
    »Es war höchste Zeit, dass sie abreisten. Was für verwöhnte Menschen aber auch. ›Könnten Sie vielleicht … wären Sie so nett … Hilma hier und Hilma da …‹« Hilma äffte die weltgewandten Stimmen nach, schlug sich dann aber erschrocken die Hand vor den Mund. So redete man nicht über feine Leute, das war respektlos! Jeder musste wissen, wo er hingehörte.
    »Ich kann verstehen, dass du müde bist. Sie haben es uns wirklich nicht leichtgemacht.« Elsy goss das restliche Wasser in einen Topf und stellte ihn auf den Herd. Als das Wasser kochte, rührte sie den Kaffee-Ersatz hinein.
    »Ich hole gleich Wasser, aber jetzt trinken wir erst mal ein Tässchen.«
    »Du bist ein liebes Mädchen.« Hilma nahm einen Schluck von dem erbärmlichen Zeug. Bei feierlichen Anlässen trank sie den Kaffee mit einem Stück Zucker zwischen den Zähnen ausder Untertasse, aber nun musste man sparsam mit dem Zucker umgehen, und mit diesem Muckefuck war es auch nicht das Gleiche.
    »Hat Vater gesagt, wann er wieder nach Hause kommt?«, fragte Elsy mit gesenktem Blick. Seit Krieg herrschte, hatte diese Frage eine ganz andere Bedeutung als früher. Vor nicht allzu langer Zeit war die Öckerö torpediert worden und mit der gesamten Besatzung untergegangen. Seitdem hatte jeder Abschied einen schicksalsschweren Beigeschmack. Aber die Arbeit musste weitergehen. Es gab keine andere Wahl. Das Frachtgut musste befördert und der Fisch gefangen werden. Krieg hin oder her, das waren die Bedingungen. Sie mussten dankbar sein, dass die Küstenschiffe überhaupt zwischen Norwegen und Schweden verkehren durften. Als viel gefährlicher galt ohnehin der Geleitverkehr außerhalb der Absperrung. Die Fischkutter aus Fjällbacka fingen zwar nicht mehr so viel wie früher, konnten die Verluste aber mit Transporten von und nach Norwegen ausgleichen. Meistens brachte Elsys Vater Eis aus Norwegen mit, und wenn er Glück hatte, konnte er Ladung dorthin mitnehmen.
    »Wenn er doch nur …«, Hilma zögerte, »…
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