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Engel aus Eis

Titel: Engel aus Eis
Autoren: Camilla L�ckberg
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Schimmel, dachte sie und spürte sofort ein Jucken auf der Kopfhaut.
    Sie erinnerte sich noch gut, wie sie und Patrik die Kiste gefunden und ihren Inhalt in Augenschein genommen hatten. Langsam hatte sie einen Gegenstand nach dem anderen herausgeholt. Die Zeichnungen von ihr und Anna. Kleine Dinge, die sie im Werkunterricht produziert hatten. Aufbewahrt von ihrer Mutter Elsy, die früher nie Interesse gezeigt hatte, wenn die Töchter ihr voller Begeisterung die liebevoll fabrizierten Geschenke überreichten. Nun machte Erica es wieder so. Sie nahm jedes Ding einzeln aus der Kiste und legte es neben sich auf den Fußboden. Der entscheidende Gegenstand lag ganz unten. Vorsichtig griff sie nach dem Stück Stoff. Das kleine Kinderhemd war einst weiß gewesen, aber bei Tageslicht besehen war es völlig vergilbt. Doch das war nicht alles. Erica konnte den Blick nicht von den braunen Flecken abwenden, die sie im ersten Moment für Rost gehalten hatte. Bis ihr klarwurde, dass es sich um eingetrocknetes Blut handelte. Der Kontrast zwischen dem zarten Hemd und den Blutflecken war irgendwie herzzerreißend. Wie war das Hemdchen hierher gelangt? Wem gehörte es? Und warum hatte ihre Mutter es aufbewahrt?
    Behutsam legte Erica das Hemdchen neben sich. Als Patrik und sie es fanden, war ein Gegenstand darin eingewickelt gewesen, aber der befand sich nun nicht mehr in der Kiste. Ihn hatte sie als Einzigen herausgenommen. Das schmutzige Hemdchen hatte einen Naziorden umschlossen. Die Gefühle, die dessen Anblick im ersten Moment in ihr weckten, hatten sie überrascht. Ihr Herz schlug schneller, ihr Mund wurde trocken, und Bilder aus Wochenschauen und Dokumentarfilmen über den Zweiten Weltkrieg flackerten an ihrem inneren Auge vorüber. Was hatte ein Naziabzeichen hier in Fjällbacka zu suchen? In ihrem Haus, unter den Habseligkeiten ihrer Mutter? Das Ganze erschien ihr absurd. Am liebsten hätte sie das Abzeichen zurück in die Kiste gelegt und den Deckel wieder zugemacht, aber Patrik bestand darauf, dass sie es zu einem Sachverständigen brachten, um vielleicht mehr herauszufinden. Widerwillig hatte sie zugestimmt. Sie hatte das Gefühl, in ihrem Innern unheilverkündende Stimmen flüstern zu hören. Es hörte sich wie eine Warnung an. Irgendetwas sagte ihr, dass sie den Orden verstecken und vergessen sollte, doch ihre Neugier gewann die Oberhand. Anfang Juni hatte sie das Ding einem Fachmann für den Zweiten Weltkrieg übergeben, und mit etwas Glück würde sie bald mehr über seine Herkunft wissen.
    Am meisten interessierten Erica jedoch die vier blauen Notizbücher ganz unten in der Kiste. Auf dem Buchdeckel die Handschrift ihrer Mutter. Es war ihre elegante, nach rechts geneigte Schrift, allerdings in einer jüngeren und bauchigeren Version. Nun nahm Erica sie heraus und strich mit dem Zeigefinger über das oberste. Auf allen stand »Tagebuch«. Das Wort weckte gemischte Gefühle in ihr. Neugier, Aufregung, Begeisterung. Aber auch Angst, Zweifel und die starke Empfindung, in die Privatsphäre eines anderen Menschen einzudringen. Durfte sie die Bücher überhaupt lesen? Hatte sie das Recht, an den intimsten Gedanken und Gefühlen ihrer Mutter teilzuhaben? Tagebücher waren im Allgemeinen nicht für fremde Augen gedacht. Ihre Mutter hatte sie nicht geschrieben, damit jemand anders von ihrem Inhalt erfuhr. Vielleicht wollte sie auf gar keinen Fall, dass ihre Tochter sie las. Doch Elsy war tot, und Erica konnte sie nicht mehr fragen. Sie war ganz auf sich gestellt und musste selbst entscheiden, wie sie sich verhalten sollte.
    »Erica?« Patrik riss sie aus ihren Gedanken.
    »Ja?«
    »Die Gäste kommen!«
    Erica sah auf die Uhr. War es etwa schon drei? Maja feierte heute ihren ersten Geburtstag, und die engsten Freunde und Verwandten waren eingeladen. Patrik musste denken, sie wäre hier oben eingeschlafen.
    »Ich komme!« Sie klopfte sich den Staub von der Hose, nahm nach kurzem Zögern die Bücher und das Hemdchen mit und kletterte die steile Dachbodentreppe hinunter. Unten hörte sie Gemurmel.
    »Willkommen!« Patrik ließ die Gäste herein. Es waren Johan und Elisabeth, die einen Sohn im selben Alter wie Maja hatten. Dieser Junge liebte Maja heiß und innig, doch ab und zu war er etwas zu stürmisch. Kaum hatte William Maja erblickt, raste er mit der Wucht eines Bulldozers auf sie zu und rempelte sie mit der Routine eines Spielers aus der National Hockey League um. Da Maja dieses Manöver zu seinem großen Erstaunen nicht recht
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