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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Autoren: Dan Simmons
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»Nicht, bevor ich deine Erzählung durch die Leere gelesen hatte und begriff...«
    Ich machte in dem weichen, hohen Gras zwei Schritte zurück. »Ich war so ein Idiot«, sagte ich. »Ich habe nichts gesehen. Ich habe nichts begriffen.
    Ich war ein Narr.«
    »Nein«, sagte Pater de Soya. »Sie waren verliebt.«
    Ich ging auf A. Bettik zu, als wäre ich bereit, ihn auf der Stelle zu erwürgen, sollte er mir nicht auf der Stelle und wahrheitsgemäß antworten.
    Vielleicht hätte ich es getan. »Sie sind der Vater«, sagte ich. »Sie haben gelogen, als Sie gesagt haben, Sie wüssten nicht, wohin Aenea für fast zwei Jahre verschwunden war. Sie sind der Vater des Kindes... des nächsten Messias.«
    »Nein«, sagte der Androide ruhig. Der Beobachter. Der einarmige Beobachter, der Freund, der beinahe ein Dutzend Mal mit uns zusammen gestorben wäre. »Nein«, sagte er wieder. »Ich bin nicht Aeneas Mann. Ich bin nicht der Vater.«
    »Bitte«, sagte ich mit zitternden Händen, »lügen Sie mich nicht an.«
    Wohl wissend, dass er nicht lügen würde. Er hatte nie gelogen.
    A. Bettik sah mir in die Augen. »Ich bin nicht der Vater. Es gibt jetzt keinen Vater. Es gab nie einen anderen Messias. Es gibt kein Kind.«
    Tot. Sie sind beide tot... ihr Kind, ihr Mann – wer immer, was immer er war –, Aenea selbst. Mein liebes Mädchen. Mein Liebling. Nichts übrig.
    Asche. Noch während ich beschlossen hatte, das Kind zu finden, den Vater, den Beobachter, anzuflehen, dass er mir gestattete, der Freund und Leibwächter und Jünger dieses Kindes zu sein, wie ich es bei Aenea gewesen war, diese neu gefundene Hoffnung als Mittel zu nutzen, aus der Schrödinger-Katzenkiste zu entkommen, hatte ich tief in meinem Innersten gewusst, dass kein Kind meiner Liebsten in diesem Universum lebte... ich hätte die Musik dieser Seele durch die Leere hallen gehört wie eine Fuge von Bach... kein Kind. Alles war Asche.
    Ich wandte mich an Pater de Soya und war bereit, den Behälter zu berühren, in dem sich Aeneas Asche befand, bereit, die Tatsache zu akzeptieren, dass sie für immer fort wäre, wenn meine Fingerspitzen zum ersten Mal den kalten Stahl berührten. Ich würde allein losziehen und eine Stelle suchen, wo ich ihre Asche verstreuen konnte. Zu Fuß von Illinois nach Arizona gehen, wenn es sein musste. Vielleicht nur dorthin, wo Hannibal gewesen war – wo wir uns zum ersten Mal geküsst hatten. Vielleicht war sie dort am glücklichsten gewesen, solange wir hier waren.
    »Wo ist der Behälter?«, fragte ich mit belegter Stimme.
    »Ich habe ihn nicht mitgebracht«, antwortete der Priester.
    »Wo ist er?«, fragte ich. Ich war nicht wütend, nur sehr, sehr müde. »Ich gehe zum Turm zurück und hole ihn.«
    Pater Federico de Soya holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn auf dem Baumschiff gelassen, Raul. Ich habe ihn nicht vergessen. Ich habe ihn absichtlich dort gelassen.«
    Ich sah ihn mehr verwirrt als wütend an. Dann fiel mir auf, dass er – und A. Bettik und selbst der greise Dichter in seinem Bett – die Köpfe zu den Klippen über dem Fluss gedreht hatten.
    Es war, als hätte eine Wolke die Sonne verdunkelt und dann ein besonders greller Sonnenstrahl einen Moment das Gras beleuchtet. Die beiden Gestalten blieben eine ganze Zeit lang reglos stehen, aber dann kam die kleinere der beiden mit raschen Schritten auf uns zu und fing schließlich an zu laufen.
    Die größere Gestalt war auf diese Entfernung natürlich deutlicher zu erkennen – Sonnenschein auf dem Chrompanzer, die rot glühenden Augen selbst auf diese Strecke zu sehen, das Funkeln von Dornen und Stacheln und Rasierklingenfingern –, aber ich vergeudete keine Zeit damit, das reglose Shrike anzusehen. Es hatte seine Aufgabe erfüllt. Es hatte sich und die Person in seiner Begleitung so mühelos durch die Zeit gefarcastet, wie ich gelernt hatte, durch den Raum zu ‘casten.
    Aenea rannte die letzten dreißig Meter. Sie sah jünger aus – noch nicht so von den Sorgen und Ereignissen gezeichnet –, ihr Haar wirkte in der Sonne fast blond und war hastig zurückgekämmt worden. Sie war jünger, wurde mir klar, während ich erstarrt dastand und sie zu unserer kleinen Gruppe auf dem Hügel gelaufen kam. Sie war zwanzig, vier Jahre älter als bei unserem Abschied in Hannibal, drei Jahre jünger als bei unserer letzten Begegnung.
    Aenea küsste A. Bettik, umarmte Pater de Soya, beugte sich über das Bett, um den alten Dichter mit großer Zärtlichkeit zu küssen,
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