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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Autoren: Dan Simmons
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Leben! Und weitere Leben darüber hinaus! Wie kannst du so ein Angebot ablehnen? Alles ist besser als der richtige Tod... dass dein verwesender Leichnam an die Raubfische, Quastenflosser und Skarkwürmer verfüttert wird. Denk darüber nach! Ich machte die Augen zu und schützte Schlaf vor, nur um den Schreien zu entfliehen, die in meinem Schädel widerhallten.
    Die Nacht dauerte eine Ewigkeit, aber der Sonnenaufgang schien dennoch zu früh zu kommen. Vier Wachen eskortierten mich in die Todeszelle, schnallten mich an einem Holzstuhl fest und versiegelten die Stahltür. Wenn ich über die linke Schulter schaute, konnte ich Gesichter erkennen, die durch das Perspex sahen. Irgendwie hatte ich einen Priester erwartet – vielleicht nicht wieder Pater Tse, aber irgendeinen Priester, einen Repräsentanten des Pax –, der mir eine letzte Chance auf Unsterblichkeit anbot. Es war keiner da. Worüber nur ein Teil von mir froh war. Ich kann jetzt nicht sagen, ob ich es mir im letzten Moment anders überlegt hätte.
    Die Hinrichtungsmethode war einfach und mechanisch – vielleicht nicht so genial wie die Schrödinger-Katzenkiste, aber dennoch schlau. Ein Todesstrahler mit kurzer Reichweite war an der Wand befestigt und auf den Stuhl gerichtet, auf dem ich saß. Ich sah, wie das Rotlicht an der kleinen, mit der Waffe verbundenen Komlogeinheit anging. Gefangene in den benachbarten Zellen hatten mir meine Todesart genüsslich geschildert, noch ehe die Strafe verhängt worden war. Der Komlogcomputer war mit einem Zufallsgenerator ausgestattet, der Zahlen generierte. Kam eine Primzahl kleiner als siebzehn, wurde der Todesstrahl aktiviert. Jede Synapse in dem grauen Klumpen, der Persönlichkeit und Erinnerungen von Raul Endymion beherbergte, würde verschmort werden. Vernichtet. Zum Neuronenäquivalent von radioaktiver Schlacke geschmolzen. Unabhängige Körperfunktionen würden nur Millisekunden später aufhören. Herzschlag und Atmung würden praktisch im selben Augenblick aussetzen, in dem mein Gehirn zerstört wurde. Experten behaupteten, dass der Tod durch Todesstrahl eine der schmerzlosesten Methoden sei, die je erfunden wurden. Diejenigen, die nach einer Hinrichtung mit Todesstrahl auferstanden waren, wollten normalerweise nicht über die Erfahrung reden, aber in den Zellen munkelte man, dass es teuflisch wehtun sollte – als würde jede Nervenbahn im Gehirn explodieren.
    Ich sah zum roten Licht des Komlog und der Mündung des kurzen Todesstrahls. Irgendein Witzbold hatte die LED-Anzeige so eingerichtet, dass ich die generierten Zahlen sehen konnte. Sie flackerten auf wie die Stockwerksanzeige eines Fahrstuhls in die Hölle: 26-74-109-9-37... sie hatten das Komlog so programmiert, dass es keine Zahlen über 150 generierte... 77-42-12-60-84-129-108-14 –
    Da verlor ich den Überblick. Ich ballte die Fäuste, bäumte mich in den unnachgiebigen Plastikgurten auf und verfluchte die Wände, die blassen, verzerrten Gesichter hinter den Perspexfenstern, die verdammte Kirche und ihren verdammten Pax, den verdammten Feigling, der meinen Hund getötet hatte, die gottverdammten elenden Feiglinge, die...
    Ich sah nicht, wie die niedere Primzahl auf dem Display aufleuchtete. Ich hörte nicht, wie der Todesstrahl leise summte, als die Energiezufuhr aktiviert wurde. Ich spürte etwas, eine Art Schierlingskälte, die in meinem Hinterkopf anfing und sich mit der Geschwindigkeit von Nervenimpulsen in meinem ganzen Körper ausbreitete, und ich empfand Überraschung, weil ich etwas spürte. Die Experten liegen falsch, und die Knackis haben Recht, dachte ich hektisch. Man kann seinen eigenen Tod durch Todesstrahl doch spüren. Ich hätte gekichert, wäre das taube Gefühl nicht über mich gekommen wie eine Woge.
    Wie eine schwarze Woge.
    Eine schwarze Woge, die mich mit sich riss.

4

    Ich war nicht überrascht, dass ich lebte, als ich wach wurde. Vermutlich ist man nur überrascht, wenn man tot wach wird. In jedem Falle wurde ich mit nicht mehr Unbehagen als einem leichten Kribbeln in den Gliedmaßen wach, lag reglos da und beobachtete eine oder zwei Minuten, wie das Sonnenlicht über eine Rauputzdecke kroch, bis mich ein dringender Gedanke hellwach machte.
    Moment mal, bin ich nicht... haben sie nicht...??
    Ich setzte mich auf und sah mich um. Falls ich noch die vage Hoffnung hegte, meine Hinrichtung könnte ein Traum gewesen sein, wurde sie augenblicklich von meiner prosaischen Umgebung zunichte gemacht. Der Raum war birnenförmig, mit
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