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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
Autoren: Dan Simmons
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spüren, als er mich triumphierend angrinste und die Mündung der Waffe in meine Richtung schwenkte. Mit einer einzigen Bewegung rammte ich ihm den Unterarm gegen das Handgelenk und die schwere Waffe, die ich fest unter M. Herrigs schwabbeliges Kinn presste.
    In dem Augenblick, als er in seiner Gegenwehr den Abzug vollständig nach unten drückte, sahen wir einander direkt in die Augen.
    Ich zeigte einem der anderen Jäger, wie man das Funkgerät im Gemeinschaftsraum bediente, und binnen einer Stunde setzte ein Gleiter des Pax auf dem Rasen auf. Es gab nur ein rundes Dutzend einsatzfähiger Gleiter auf dem ganzen Kontinent, daher wirkte der Anblick des schwarzen Pax-Vehikels ernüchternd, um es gelinde auszudrücken.
    Sie fesselten mir die Handgelenke, befestigten eine kortikale Fluchtsperre an meiner Schläfe und beförderten mich in die Zelle im Heck des Fahrzeugs. Dort saß ich schweißnass in der heißen Stille der Kammer, während die forensischen Spezialisten des Pax mit nadelfeinen Pinzetten versuchten, jedes Teilchen von M. Herrigs Schädel und Hirnmasse von dem durchlöcherten Boden und der Wand zu kratzen. Während sie die drei anderen Jäger verhörten, nachdem sie von M. Herrig alles gefunden hatten, was noch zu finden war, beobachtete ich durch das zerkratzte Perspexfenster, wie sie seinen Leichnam in einer Plastiktüte in den Gleiter verluden. Die Startrotoren heulten auf, die Ventilatoren wehten ein bisschen kühlere Luft herein, als ich gerade dachte, dass ich nicht mehr atmen konnte, und der Gleiter stieg auf, kreiste einmal über der Plantage und flog dann nach Süden, Richtung Port Romance.
    Meine Verhandlung fand sechs Tage später statt. M. Rolman, M. Rushomin und M. Poneascu sagten aus, dass ich M. Herrig auf dem Weg zu den Sümpfen beleidigt und ihn dort nach unserer Ankunft angegriffen hätte. Sie beeideten, dass der Jagdhund in dem Durcheinander ums Leben gekommen war, das ich angestiftet hatte. Sie sagten weiter aus, dass ich, als wir uns wieder auf der Plantage befanden, die illegale Flechettewaffe gezückt und gedroht hätte, sie alle umzubringen. M. Herrig hatte versucht, mir die Waffe abzunehmen. Ich hatte ihn aus kürzester Entfernung erschossen und ihm dabei buchstäblich den Kopf weggepustet.
    M. Herrig sagte als Letzter aus. Er wirkte nach seiner dreitägigen Auferstehung noch sichtlich mitgenommen und blass und trug einen schmucklosen Anzug mit Cape, als er mit bebender Stimme die Aussage der drei anderen bestätigte und meinen brutalen Angriff auf ihn schilderte.
    Mein Pflichtverteidiger verzichtete auf ein Kreuzverhör. Als Auferstehungschristen mit guten Beziehungen zum Pax konnte man keinen von ihnen zwingen, unter dem Einfluss von Lügnicht oder einer anderen chemischen oder elektronischen Wahrheitsfindungshilfe auszusagen. Ich erbot mich freiwillig, Lügnicht zu nehmen oder mich einem Vollscan auszusetzen, aber der Staatsanwalt wandte ein, dass derartige Spielereien irrelevant seien, und der vom Pax eingesetzte Richter war seiner Meinung.
    Mein Verteidiger legte keinen Widerspruch ein.
    Es gab keine Geschworenen. Der Richter brauchte keine zwanzig Minuten, um zu einem Urteil zu kommen. Ich wurde schuldig gesprochen und zur Hinrichtung durch Todesstrahl verurteilt.
    Ich stand auf und bat, die Vollstreckung des Urteils zu verschieben, bis ich meine Tante und meine Vettern in Nordaquila benachrichtigt hätte, damit sie mich ein letztes Mal besuchen könnten. Mein Gesuch wurde abgelehnt. Der Zeitpunkt der Hinrichtung wurde auf den Sonnenaufgang des darauf folgenden Tages festgesetzt.

3

    An diesem Abend kam mich ein Priester des Pax-Klosters in Port Romance besuchen. Es handelte sich um einen kleinen, etwas nervösen Mann mit schütterem blondem Haar und einem leichten Stottern. Als wir uns in der fensterlosen Besucherzelle befanden, stellte er sich als Pater Tse vor und winkte die Wachen fort.
    »Mein Sohn«, begann er, und ich verspürte den Drang zu lachen, da der Priester ungefähr in meinem Alter zu sein schien, »mein Sohn... bist du bereit für morgen?«
    Der Drang zu lächeln ließ sichtlich nach. Ich zuckte die Achseln.
    Pater Tse biss sich auf die Lippe. »Du hast Unseren Herrn nicht angenommen...«, sagte er mit gefühlvoll bebender Stimme.
    Ich wollte wieder die Achseln zucken, sagte aber stattdessen etwas. »Ich habe die Kruziform nicht angenommen, Pater. Das ist möglicherweise nicht dasselbe.«
    Seine braunen Augen blickten beharrlich, fast flehend. »Es ist
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