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Endstation Rußland

Endstation Rußland

Titel: Endstation Rußland
Autoren: Natalja Kljutscharjowa
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zerrt mich in einen Hauseingang und vergewaltigt mich. Seitdem kann ich Division bell nicht mehr hören. Dieser Perverse, der hatte zwar keinen Bart, war aber noch widerlicher als der Maler.«
    In Piter verliebte sich Alja unsterblich. Sie heiratete sogar. Doch am Tag nach der Hochzeit war der Ehemann spurlos verschwunden. »Ihn suchte die Feuerwehr und die Miliz«– ein ganzes Jahr lang. Alja flog im letzten Studienjahr von der Uni und bekam graue Haare. Sie war brünett gewesen. Es fiel also auf.
    Nach einem Jahr wiesen die Spuren desVerschwundenen nach Omsk, wo er seelenruhig mit seiner anderen Ehefrau und zwei Kindern lebte. Doch diese Spuren waren so undeutlich, daß es unmöglich war, des Flüchtigen wenigstens für eine Scheidung habhaft zu werden. Deshalb ist Alja laut Ausweis verheiratet. Bis heute.
    An jenem Tag, als eine Bekannte von Bekannten ihr die gute Nachricht vom Verbleib des verschollenen Ehemanns überbrachte, ging die ergraute Alja die Wohnheimtreppe hinunter und prallte gegen einen unscheinbaren Jüngling mit dicker Brille.
    »Bitte nimm mich mit, wohin du willst, bring mich irgendwohin. Denk dir einen Namen und eine Biographie für mich aus. Ich werde mit dir zusammenleben. Aber ich werde dich niemals lieben. Das ist dein Schicksal. Ich hoffe, du hast den Mut, es anzunehmen?« erklärte Alja dem unbekannten Hänfling mit würdevoller Verzweiflung.
    Und der Hänfling Aljoscha, der noch nie eine Frau angerührt hatte, griff zu und brachte Alja in die kleine Stadt Podolsk. Dort begann für Alja, die sich nun Jelena nannte, das dritte Leben.
    Aljoscha, der nicht nur Mut bewiesen hatte, sondern auch ein genialer Programmierer war, verbrachte ganze Tage auf seiner Arbeitsstelle. Jelena die Einsiedlerin ging nie aus dem Haus. Sie trank grünen Tee, fertigte Perlenstickereien, las im Tibetischen Totenbuch und brannte Räucherstäbchen ab.
    »Ich tat plötzlich Dinge, die ich mein Leben lang gehaßt hatte, und nichts mehr von dem, was ich am meisten liebte. Und es gefiel mir!« resümierte die einstige Alja ihre neue Daseinsform.
    Sie gab vieles auf: den Alkohol, das Rauchen, die Drogen, »alles vögeln, was schön ist«, Filme drehen, nachts spazierengehen, provozieren, lachen, sich schick anziehen, fluchen, Drehbücher schreiben und Musik hören.
    Ihre zahlreichen Freunde, Liebhaber, Verehrer, Kollegen und Bekannten aus dem »vergangenen Leben« jagte Alja mit großer Geste zum Teufel. Mit gepfefferten Worten. Woraufhin ihr Gefolge sie nicht nur »für immer in Ruhe ließ«, sondern sogar versuchte, jegliche Erinnerung an das Odessaer Fräulein mit dem schwierigen Charakter aus dem Gedächtnis zu tilgen. Doch das war nicht einfach. Alja war eine äußerst einprägsame Person.
    An einem scheußlichen Herbsttag erwachte Jelena, die nie vor der Abenddämmerung aufstand, den unerforschlichen Regungen der »subtilen Innenwelt« folgend, um sieben Uhr morgens, kämmte sich und verließ ihre Zelle. Hochmütig ignorierte sie das stumme Staunen Aljoschas, der in der Küche kalten Reis frühstückte.
    Alja kaufte im nächstbesten Laden eine Flasche »Anapa«-Wein. Fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges war sie auf dem Bahnhof, eine Sekunde bevor Nikita, der gerade seine Zigarettenkippe in einer Pfütze ertränkt hatte, in den Zug einsteigen wollte, um die wunderbare Stadt Podolsk für immer hinter sich zu lassen.
    »He, wo willst du denn hin?« fragte das grauhaarige Mädchen und sah Nikita, der schon einen Fuß auf die Wagentreppe gesetzt hatte, vernichtend an.
    »Ich bin nur auf der Durchreise«, antwortete Nikita verlegen und stieg wieder herunter.
    Das Mädchen fauchte:
    »Auf der Durchreise! Ach was! So eine Frechheit! Du bist zu mir gekommen! Und aus diesem Anlaß hättest du dir ruhig die Schuhe putzen und ein bißchen netter sein können! Gehen wir!«
    Das Mädchen schwenkte die Weinflasche und ging entschlossen auf die Überführung zu.
    »Warten Sie, ich hole noch meinen Rucksack!« rief der völlig verwirrte Nikita.
    Das Mädchen drehte sich abrupt um und maß den Frechdachs mit einem Blick, der, wie sie im »vergangenen Leben« gern gesagt hatte, »im besten Fall tötet, im schlimmsten Fall impotent macht«. Doch dann lachte sie aus irgendeinem Grund (auch das hatte sie im früheren Leben nicht getan), erhob freundschaftlich die Flasche gegen Nikita und sagte sanft:
    »Wir beide sind noch nicht per Sie, du kleiner Scheißer. Na los, hol schon deine Klamotten!«
    Den Anapa tranken sie gleich auf der
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